Schweizer Scharmützel

TENNIS Beim Turnier der besten acht in London verletzt sich Roger Federer und muss einen Konflikt mit Landsmann Stan Wawrinka ausfechten. Eine ärgerliche Störung vor dem Davis-Cup-Finale gegen Frankreich

Doch dieses Finale gegen Novak Djokovic findet nicht statt; der Serbe gewinnt den Titel ohne Spiel

VON DORIS HENKEL

Die Franzosen waren schon am Tag zuvor mit einer kleinen Sondermaschine in Lille gelandet, offenbar gut gelaunt und gut verpackt in blauen Anoraks. Stan Wawrinka machte sich Montagmorgen mit dem Eurostar auf den Weg nach Frankreich zum Davis Cup; er hatte diverse Taschen und Koffer im Gepäck und sah müde aus, aber das war das Mindeste, was man erwarten konnte angesichts der letzten Eindrücke von den ATP World Tour Finals in London.

Rückblende, Halbfinale in London zwischen Wawrinka und Roger Federer, Balsam für die Seele der Tennisfans nach einer Woche enttäuschender Spiele beim Turnier der besten acht des Jahres. Die beiden machen ein großes Ding aus diesem Halbfinale, und in den besten Momenten fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Schweizer den Davis Cup eine Woche später nicht zum ersten Mal gewinnen werden. Was sollen Monfils, Tsonga & Co. unternehmen, um Federer und Wawrinka zu stoppen?

Doch schon das Ende der Begegnung verbessert die Position der Franzosen. Wawrinka kann keinen von vier Matchbällen nutzen, weil er mit der Variante „Alles oder nichts“ scheitert. Man kann sich vorstellen, dass er die Niederlage nicht leicht verdauen wird, und es nützt nichts, dass Federer hinterher zugibt, er selbst habe am Ende einfach Glück gehabt. Über seine Befindlichkeit sagt er, so weit sei alles in Ordnung, er wolle schnell ins Hotel, um die wenigen Stunden bis zum Finale optimal zu nutzen.

Doch dieses Finale gegen Novak Djokovic findet nicht statt; der Serbe gewinnt den Titel ohne Spiel. Federer tritt vor das Publikum und erklärt, er habe alles versucht in der kurzen Zeit, aber er sei nicht in der Verfassung für ein hartes Spiel. Später teilt er mit, er habe am Samstag im Tiebreak des dritten Satzes einen Schmerz im Rücken gespürt. Wieder der Rücken, wie 2013; eine langwierige Sache seinerzeit, die ihn stark eingeschränkt hatte. Er meint, in ein paar Tagen werde es sicher wieder besser sein. Aber Novak Djokovic berichtet später von einem kurzen Gespräch mit Federer, und danach gibt er den Eindruck weiter, da gebe es schon Fragezeichen in Sachen Davis Cup.

Innerhalb von weniger als 24 Stunden steigen die Aktien der bis dahin unbeteiligten Franzosen beträchtlich, auch weil Gerüchte die Runde machen, es habe einen heftigen Streit zwischen Federer und Wawrinka gegeben. John McEnroe, der das Finale für den amerikanischen Sender ESPN kommentieren sollte, teilt mit, nach dem Halbfinale seien beide aneineinandergeraten.

Es soll um eine Szene in der Endphase des Spiels gegangen sein, in der sich Wawrinka beim Aufschlag durch Zwischenrufe gestört fühlte. Darauf angesprochen, hatte der in der Pressekonferenz gesagt, es sei nichts Besonderes passiert, so ein Spiel unter Hochspannung sei nie leicht. In diesem Moment wusste indes noch keiner, dass die Zwischenrufe offenbar von Federers Frau Mirka gekommen waren.

Den besten Kommentar des Abends trägt Andy Murray bei, der sich nach einem Anruf von ATP-Chef Chris Kermode ins Auto setzt und zur Arena fährt, um die Zuschauer dort mit Novak Djokovic in einem Showmatch zu entschädigen. Hinterher sagt er, ans Publikum gewandt, zu Federers Verletzung: „Ich muss wohl um Entschuldigung bitten; ich habe Roger offensichtlich zu heftig zugesetzt.“ Ironie vom Feinsten, denn im letzten Gruppenspiel hatte Murray gegen Federer 0:6, 1:6 verloren.

Wie auch immer, die Franzosen sind bestens vorbereitet. Nach einer Trainingswoche in Bordeaux hatten sie am Montag schon die ersten Einheiten in Lille hinter sich, als Stan Wawrinka im Eurostar auf dem Weg nach Frankreich saß. Keiner aus der Équipe Tricolore, die am Wochenende in Lille zum ersten Mal nach mehr als zehn Jahren wieder den Davis Cup gewinnen will, war in den vergangenen Wochen besonders gut in Form. Aber darauf wird es vermutlich weniger ankommen als auf die Frage, wie sich die Lage im Schweizer Team in den kommenden Tagen entwickelt.