AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON MICHAEL BRAKEZWISCHEN JUNGKÜNSTLERN UND JUNGGESELLEN
: Immer gewinnen die richtigen

VON MICHAEL BRAKE

Genau wie Nonnengänse einmal im Jahr an ihren Brutplatz zurückkehren (den sie durch Kot markieren, auf dem Pflanzen wachsen, sodass ein grüner Ring gut aus der Luft erkennbar ist), gehe ich immer im Juli zurück an die Universität der Künste zum Rundgang, genauer: ins Medienhaus am Kleistpark, dessen Kombination aus klassizistischer Wuchtigkeit und den großen roten wehenden Fahnen in mir auch nach neun Jahren noch NS-Assoziationen weckt.

Drinnen finde ich die Toiletten nicht mehr wieder. Dafür sind der Pförtner und der Kaffeebecherpfandrückgabeautomat immer noch an ihrem Platz. Ausnahmslos jeder hat einen Drink in der Hand, im Haus verteilen sich hunderte Mikrotresen. Es sind Studiengänge wie Experimentelle Mediengestaltung, die hier ausstellen, und es ist die übliche Mischung aus Illustration, interaktivem Schnickschnack und Kurzfilmen. Riesige dreidimensionale Berlin-Infografiken, Nachttischlampen auf Smartphonebasis, Fotoarbeiten über die Donauschwaben der Woiwodina, eine Rückkopplungsfrickellärmperformance und Geschäftsberichte der Berliner Bankengesellschaft, komplett in Blocksatz neu gesetzt.

Ein Raum ist voll gestellt mit Modellen aus Pappe, Bändern, Schläuchen, Röhren. Strukturen. Formationen. Datascapes! Self Organizing Material! Urbane Codes! Und natürlich: narrativer Film! Was erst mal albern klingt, denn narrativ ist ja wohl mal fast jeder Film. Wenn man dann aber die anderen Filme gesehen hat (Großaufnahmen von Kuchenteigproduktion), wird klar, warum es so und nicht andersherum abgegrenzt wird.

Außerdem wieder mit dabei: diese putzigen weißen Stoffhandschuhe, die man anzieht, um die teuer produzierten Studienabschlussarbeiten zu schonen. Und dann etwas neidisch ist, dass man nicht selbst als Meisterschülerarbeit ein gebundenes A4-Buch mit dem in schwarzen Serifenbuchstaben geprägten Titel „Pferde & Autos“ vorgelegt hat. Und nicht selbst Clara Bahlsen heißt.

Am nächsten Tag dann geht es mit L. an die Havel. Auf dem Weg passieren wir die weitläufigen Sanddünen des Flughafensees, in denen sich der Nordberliner White Trash mit seinen Hunden sonnt. Also der Teil, der keine Karte mehr fürs Olympiastadion bekommen hat, wo Mario Barth auftritt, vor 70.000 Menschen und mit einer Replika des Schlesischen Tors als Bühnenbild. Das echte Schlesische Tor hingegen ist in der Nacht blau beleuchtet von Polizeiwannen, die zum Einsatz auf der Carlo-Giuliani-Gedenkdemo unterwegs sind.

Spiegel TV hatte recht

Ich bin mit F. verabredet und begegne beim Warten gleich mehreren JunggesellInnenabschieden. Hatte die Spiegel-TV-Doku neulich also recht, die, ähem, der Cousin eines Freundes als Onlinezusammenfassung gesehen hat, natürlich zufällig!, und die von Gruppen aus ganz Deutschland berichtete, die nur deswegen nach Berlin kommen. Folgt auf Gentrifizierung und Touristifizierung nun die Debachelorizierung?

Ein Mann vom Team Schach MAD schenkt mir eine Miniflasche Sauren Apfel. Wir stoßen mit Bier an, während an uns nacheinander ein Fahrradfahrer und ein Planenwagen mit mobilen Soundsystemen vorbeifahren. Überhaupt ist der gesamte Abschnitt bis zur Warschauer Straße samstagnachts eine Ghettoblasterparade samt Übungsbühne für Nachwuchsbands. F. und ich aber gehen in eine Bar und reden über Sex.

Ich bestelle einen Cosmopolitan. Ein „Mädchengetränk“, wie ich lerne. Tsss. Als wir die Bar verlassen, spielen Velvet Underground „Who Loves the Sun“. Zu Hause schaue ich noch in einem vom Lkw gefallenen Internetstream das Elfmeterschießen von Uruguay – Argentinien. Am nächsten Tag USA – Japan und danach das Elfmeterschießen von Brasilien – Paraguay. Und immer gewinnen die Richtigen! Muslera, Kaihori, Villar sind die Helden dieses verregneten Sommervollmondwochenendes.