Dem großen Bombast die Luft ablassen

WAGNER IN NEUKÖLLN Er kann Wotan, er kann Siegfried und verbreitet gute Laune: Der Schauspieler Stefan Kaminski ist in der Neuköllner Oper mit dem „Ring der Nibelungen“ nach Richard Wagner zu Gast

Warum vier Stunden Oper, wenn Kaminski das auch in siebzig Minuten erzählen kann

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Wo Mythen walten, ist der Special Effect nicht fern. Seit das digitale Kino Riesen, Elfen und Geisterarmeen auf die Leinwand zaubern kann, ist die Ästhetik der Überwältigung ungeheuer populär. Viel populärer als einer ihrer Urväter, Richard Wagner, sich das je hätte träumen lassen. Seine Opern gelten bis heute, auch dank ihrer Verkettung mit den Festspielen in Bayreuth, als Gipfel einer repräsentationswütigen Hochkultur und damit als genaues Gegenteil des Populären.

Dass es aber von Wagners Bühnenweihespiel „Ring des Nibelungen“ bis zu den Verfilmungen des „Herrn der Ringe“ in mancher Hinsicht nur ein kleiner Schritt ist, beweist seit ein paar Jahren Stefan Kaminski mit seinem „Ring der Nibelungen“. Er nimmt von Wagner das narrative Skelett der Opern und webt darum einen neuen Sound aus Geräuschen und Balladen – fertig ist das Fantasiemärchen, das er an vier aufeinander folgenden Abenden spielt. 2009 zum ersten Mal in der Box des Deutschen Theaters aufgeführt, gastiert Kaminski damit jetzt zur besten Festspielzeit in der Neuköllner Oper. Manche Fans sind ihm gefolgt und bringen ihm und seinen Musikern Geschenke mit.

Kaminskis eigene Erfindung ist das „dreidimensionale Live-Hörspiel“: Damit hat er seit 2004 Filmstoffe wie „King Kong“ oder „Der weiße Hai“ ebenso bearbeitet wie klassische Dramen und eben Opern. Von Mikrofonen umstellt sitzt er auf der Bühne der Neuköllner Oper, vor sich einen Tisch mit den Requisiten des Geräuschemachers, die Füße in einer Kiste knirschendem Kies, neben sich zwei Musiker, die mit den seltsamsten Instrumenten hantieren, wie E-Cello, Nadelklavier und Windmaschine. Alle drei sind sie Meister des akustischen Special Effect, der Grusel und Grauen, Unheimliches und Schrecken verbreitet. Aber nur einer von ihnen, Stefan Kaminsiki, spielt dabei auch alle Rollen, lässt sie in steter Verwandlung über seine Mimik und durch seinen Oberkörper fließen, derweil die Beine mit begleitenden Geräuschen beschäftigt sind. Sein Bewegungsradius zwischen den Mikrofonen ist nicht groß, und doch spielt sich auf diesem engen Raum alles ab: Hier entsteht die Walküre aus Hufgetrappel und Pferdewiehern, dort schraubt sich mit den Schreien von Krähen der Blick in die Höhe zu Wotans Burg, da kämpfen die Riesen Fafner und Fasolt mit Alberich um den Ring. All diese Bilder malt sich die Fantasie aus, angetrieben von Tönen und der Wandlungsfähigkeit Kaminskis.

Schleppend und rockig

Das ist lustig zunächst, weil Kaminskis Spiel so unterhaltsam ist. Er beherrscht für jede Figur eine andere Stimme und einen anderen Gestus des Sprechens. Wotan zum Beispiel, dessen göttlicher Plan zunehmend aus dem Ruder gerät, erinnert mehr und mehr an einen mit schleppender Zunge sprechenden Alkoholiker, der sich schämt für seine Fehler und leidet. Er könnte auch geradewegs vom Alexanderplatz stammen. Strahlemann Siegfried dagegen hat eine Wurstigkeit und gute Laune, als wäre er ehemals beim Kinderfernsehen Ost angestellt gewesen. Wo sein Vater Siegmund die Legende seiner Herkunft noch als rockige Ballade erzählt – nie hätte man vermutet, dass Wagners staksende Stabreime auch zu solchem Rhythmus taugen –, bricht der in Unwissen erzogene Siegfried in schmalzige Songs aus.

Es ist nicht nur Wagners Erbe, das Kaminski auf eine spannende Story herunterbricht, sondern auch das einer Unterhaltungskultur, die seit Otto Waalkes und „Ein Kessel Buntes“ über Bildschirme in Ost und West flimmerte.

Das ist lustig aber auch, weil man sozusagen einer Low-Budget-Version des großen Bombasts beiwohnt, sei es in der Oper oder im Kino. Man sieht mit der Geschichte auch ihr Making of, hat neben dem Walten des Schicksals und dem großen Gefühl all die kleinen Werkzeuge im Blick, mit denen es erzeugt wird. Blechgeschirr und Wasserflaschen, Hammer und Amboss, Bleirohre und Stuhlbeine: Je mehr dies nach Gerümpel aussieht, desto besser passt es in den Kram. Das hilft Kaminski, dem Heldischen ein irdisches Gewand überzuwerfen. Er will Wagners Charaktere nicht in erster Linie der Parodie ausliefern, sondern in alltägliche und bekannte Gesichter übersetzen. Und das gelingt.

Stefan Kaminski ist nicht der einzige Theatermacher, der aus einer so visualisierten Akustik neue Erzählformen schöpft. Die britische Regisseurin Katie Mitchell, die auch in Köln inszeniert, arbeitet so, und auch der Regisseur David Marton, der Opernstoffe im Theater neu erzählt. Im Berlin war im HAU auch des Öfteren die Big Art Group aus New York zu Gast, die ebenfalls mit dem Making-of-Charakter spielt, wenn es da auch mehr um Film als um Hörspiele geht. Kaminskis Live-Hörspiele sind durchaus ein ähnliches Format.

Allein, er wird anders wahrgenommen, weniger im Kontext der Reflexionen über das postdramatische Theater als eher als ein Alleinunterhalter, der gerade die anzieht, die das Anstrengende und Angespannte der Hochkultur fürchten. Warum vier Stunden Oper, sagen sie sich, wenn Kaminski mir das Wesentliche auch in siebzig Minuten erzählen kann. Dass der Mann, der immer im gleichen T-Shirt und alten Jeans auftritt, aber viel mehr tut als das, macht die Freude über den anhaltenden Erfolg seiner Shows so groß.

■ Wieder ab Dienstag, 19. Juli, Start mit „Rheingold“ in der Neuköllner Oper, bis 30. Juli