Reaktionärer Edelkitsch

Die EUR-Oper „St. Kilda“ wurde in Düsseldorf, im schottischen Stornoway, in der französischen Stadt Valenciennes, im belgischen Mons und in Hallstatt in Österreich uraufgeführt. Und das gleichzeitig

Diese Folklore für Fortgeschrittene wird vom Bühnengeschehen nicht konterkariert

VON REGINE MÜLLER

Eine Oper über eine verschwundene Zivilisation auf einer schottischen Insel, synchron aus der Taufe gehoben an fünf Orten in Europa, multimedial aufgemotzt und per Satellit live verbunden: Das klingt spektakulär und trägt dazu das Qualitätssiegel einer „europäischen Oper“. Aus garantiert artgerechter Haltung. Auf dergleichen fahren öffentliche Geldgeber ab, wie durch Zauberwort öffnen sich bereitwillig schwere Kassen. So sind denn auch reichlich EU-Fördergelder in das vollmundig angekündigte Projekt geflossen und Stiftungen stockten das Budget auf üppige 1,8 Millionen Euro auf.

Doch die spendablen Geldgeber waren schlecht beraten, denn herausgekommen ist mit „St. Kilda – Insel der Vogelmenschen“ ein süßlicher Brei, in dem zu viele Köche rührten. Die deutsche Uraufführung – Durchführung und Regie sind an jedem Aufführungsort anders, gleich bleiben nur Musik und Text – jedenfalls zeigte statt experimentellem Musiktheater eher hilflosen Kitsch zu braver Kantorenmusik.

Dass Theater erst richtig spannend wird, wenn man nicht im Theater spielt, ist eine allmählich überstrapazierte Behauptung, die vor allem die Technik ächzen lässt. Der Ort der Uraufführung im Innenhof eines Bürokomplexes im Düsseldorfer Medienhafen ist freilich nicht ohne Reiz, stellt er doch die Technik und Medien ganz unverhohlen in den Mittelpunkt. Auf einer riesigen Videoprojektionswand flimmern Live-Bilder von der für Vogelkundler interessanten Insel, ergänzt um Schnipsel alter Dokumentarfilme und Spielfilmszenen in der Ästhetik expressionistischer Überzeichnung. Die Abfolge ergibt ein unverdauliches Doku-Fiction-Gebräu à la Guido Knopp, zieht aber die Aufmerksamkeit zur Gänze auf sich.

Dabei wird zur Bilderflut live musiziert, ein etwa 30-köpfiger Chor singt, agiert, und gebärdet sich (eu)rhythmisch und dazu wimmeln Schauspieler, Gesangssolisten und Tänzer unablässig auf der treppenartig gebauten Bühne und im ganzen kathedralartigen Raum.

Erzählt wird die Geschichte einer verschwundenen Zivilisation, die Jahrhunderte lang isoliert auf der sturmumtosten Insel St. Kilda unter lebensfeindlichen Bedingungen mühseligst überlebte. Die Menschen ernährten sich als Klippenkletterer von Seevögeln und gaben erst 1930 ihr archaisches Leben auf, um aufs Festland zu emigrieren. Fluchtartig verließen sie die urtümliche Insel und gaben damit auch ihre Kultur auf.

Die von dem Schotten David Graham und dem Belgier Jean-Paul Dessy komponierte Oper versucht, sich der verschwundenen Kultur anzunähern und bemüht vor allem gälische Volksmusik, um diese zu beschwören. Artig duckt sie sich unter die penetrant von der Insel gefunkten gälischen Gesänge und grundiert die uralte Musik nur schüchtern mit zeitgenössischen Klängen des Chores und der fünfköpfigen Musikertruppe. Doch sorgen die ätherischen Klänge zuverlässig für nordische Stimmung, es riecht nach Moos und Flechten, die Seevögel krächzen und der Wind heult.

Diese Folklore für Fortgeschrittene wird vom Bühnengeschehen nicht konterkariert. Die ohnehin stockend erzählte Geschichte zerfällt stattdessen in angestrengt choreografierte Einzelbilder (Regie: Frank Schulz). Immer wieder seilen sich Mutige aus dem Chor von der Decke oder von Balkonen ab, dann turnen Vertikaltänzer und Solisten an den Seilen, ein spärlich bekleideter Tänzer geht expressiv zu Boden, die Cellistin schabt im Stehen auf ihrem Instrument und bisweilen geht in der Videowand ein Kläppchen auf und Frau Holle schaut heraus. All das soll das gefährliche Klippenleben veranschaulichen und bleibt doch eine überlange Zirkusnummer. Am Schluss wird ausgiebig getrauert, dass die Insulaner ihr Eiland und ihr ach so authentisches Leben aufgeben. Die archaische Gesellschaft als Idylle: Dieses Märchen hat auf der Opernbühne bereits vor 100 Jahren Leos Janacek mit „Jenufa“ entzaubert, indem er die mährischen Bauern als abergläubische Gewaltmenschen zeigte, hier wird die traute Mär abermals behauptet.

Man könnte den Abend getrost vergessen, wäre das Ganze nur einfach ein Kitsch-Unfall. Doch die hinter dem Kunstgewerbe lauernde Haltung alarmiert, denn die unkritische Verklärung sozialen Elends einer unfreiwillig primitiven Gesellschaft unter der Berufung auf sortenreine, unverfälschte Kultur ist mehr als nur sentimental und gestrig. Sie ist reaktionär.

Heute und morgen: 21:00 Uhr, Zollhof, Düsseldorf Infos: 0211-9293582