Der Himmel wird königsblau

Vor dem heutigen Trainingsauftakt verteidigen sich die Verantwortlichen des Bundesligisten Schalke 04 leicht genervt gegen echte und vermeintliche Vorwürfe. Wenig Spielraum für Verstärkungen

„Es gibt für einen Sportler schließlich nichts Schlimmeres als Mitleid“

AUS GELSENKIRCHEN ANDREAS MORBACH

Mirko Slomka hat sich vor einigen Wochen eine hübsch eingängige Begrüßungsmelodie auf sein Handy geladen. „Ein Stück vom Himmel, ein Platz von Gott“, seufzt Herbert Grönemeyer dem Anrufer zuverlässig entgegen – mal länger, mal kürzer. In der Vorwoche, als Slomka an seinem Urlaubsdomizil vor lauter ungeklärten Personalfragen auf heißen Kohlen saß, griff der Schalker Chefcoach sehr fix zum Telefon. Doch inzwischen wurde der Brasilianer Lincoln, das mitunter schlampige Genie, in die Türkei transferiert. Der 19-jährige Ivan Rakitic, schweizerisch-kroatischer Offensivspieler und als neuester Traumprinz in Gelsenkirchen empfangen, hat bis 2011 unterschrieben – und Slomka startet heute Nachmittag um 16 Uhr mit den Schalker Profis in die Vorbereitung.

Mit Manager Andreas Müller tauscht sich der 39-jährige Fußballlehrer nun also wieder direkt aus, entsprechend ungestört kann man daher der Grönemeyer-Ballade auf Slomkas Handy lauschen. Dem Gesang, der sinnbildlich ist für die zurückliegende Saison, als die Blau-Weißen, wie schon 1972, 1977, 2001 und 2005, als enttäuschter Vizemeister wieder nur ein Stück vom Himmel zu sehen bekamen. Und spätestens seit der Hauptversammlung am vergangenem Montag drängt sich der Verdacht auf, dass die fahrlässig verspielte Meisterschaft doch tiefere Wunden hinterlassen hat als den Schalkern lieb sein dürfte.

Denn da zogen der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies und sein Spezi Josef Schnusenberg, langjähriger Finanz- und neuer Vorstandschef von Schalke 04, auf der Jahreshauptversammlung des Revierklubs mit scharfer Zunge über den Lieblingsrivalen Dortmund her. Wie vor ihnen schon der inzwischen ausgeschiedene Ex-Präsident Gerd Rehberg. Weil die Borussen es mit ausgewachsener Schadenfreude genossen hatten, dem Nachbarn am vorletzten Spieltag die heiß ersehnte erste Meisterschaft seit dem Jahr 1957 versaut zu haben. Darüber wird auf Schalke ausgiebig gejammert, und das nervt.

Vermutlich auch Manager Müller, der beim Gedanken an das blau-weiße Tränenmeer vor sechs Jahren mit anschließender bundesweiter Anteilnahme verächtlich sagt: „Meister der Herzen – puh. Es gibt für einen Sportler schließlich nichts Schlimmeres als Mitleid.“

Der Verkauf der Reizfigur Lincoln an Galatasaray Istanbul dürfte im Rahmen der Schalker Spurensuche eine kluge Entscheidung gewesen sein. Sympathischer hat der wankelmütige Brasilianer seinen Ex-Klub zuletzt jedenfalls nicht gemacht. Auch deshalb war die bundesweite Freude über die Meisterschaft des VfB Stuttgart am 19. Mai deutlich größer als das Mitleid der Nation mit den Königsblauen. Und es klingt ein wenig ratlos, wenn Andreas Müller ganz allgemein befindet: „Andere Vereine werden nicht so kritisch gesehen wie wir. Aber diese Haltung geht wohl in die Zeit zurück, als der FC Schalke für Skandale und irgendetwas Anrüchiges stand.“

Gerade wegen dieser Vergangenheit wollen sie nun umso seriöser und anständiger daher kommen. Deshalb betont der gebürtige Stuttgarter Müller fast beleidigt, dass keineswegs der VfB, sondern Schalke besonders viele junge Spieler aus dem eigenen Haus in den Profi-Kader integriert habe. Und auch Josef Schnusenberg verzweifelt zunehmend an der Ungerechtigkeit der Fußball-Welt, wenn er Schalkes etwas holprige Einkaufspolitik der letzten Wochen mit der umstrittenen Liaison des Klubs mit dem Energieriesen Gazprom koppelt und klagt: „Einerseits wirft man uns vor, was für schreckliche Menschen wir sind. Und dann sagen alle, dass wir kein Risiko eingehen.“

Doch für die Verpflichtung eines internationalen Topstars wie den recht heftig umworbenen ghanaischen Nationalspieler Stephen Appiah sind die Finanzen des Revierklubs nun einmal zu scharf kalkuliert. „So etwas geht für uns momentan gar nicht“, bekennt Geldverwalter Schnusenberg, der nach dem Lincoln-Transfer aber durchaus bereit ist, den Säckel noch einmal für eine namhafte Verstärkung zu öffnen. Denn auf internationalem Niveau verbreitet der Champions-League-Teilnehmer aus dem Revier mit Neuzugängen wie Rakitic, Heiko Westermann und Jermaine Jones bislang nicht gerade Angst und Schrecken.

„Um uns herum wird schon wieder eine düstere Stimmung entworfen“, wundert sich Schnusenberg und macht zumindest für die kommende Bundesligasaison den Investitionsweltmeistern aus München eine klare Ansage: „Unser Ziel ist die erneute Qualifikation für die Champions League – und zwar auf direktem Weg.“ Das heißt: Platz zwei soll es am Ende sein, mindestens. Und das wäre dann ja immerhin das nächste Stück vom Himmel.