Von Träumern für Verträumte

Betörung ist immer ein guter Drogenersatz: Heute Abend dreht die New Yorker Band Blonde Redhead im Postbahnhof ihre Verspultheit zu leuchtenden lila Girlanden

Worum es geht, weiß man eigentlich nicht genau. Es ist eine Musik, von der man sich gern bezirzen lässt. Sie wirkt entrückt, schlierig, manchmal verstörend. Blonde Redhead kommen aus New York, machen aber Musik, die auch aus England stammen könnte, Musik, wie sie vor fünfzehn und mehr Jahren auf der Insel zuhauf erschienen ist, wogegen sie es hierzulande immer etwas schwer hatte. My Bloody Valentine, Lush und besonders Slowdive sind die großen Namen, und die Cocteau Twins muss man unbedingt als Vorreiter dieser Musik nennen, die man auch Shoegazer nennt, einerseits wegen der schüchternen Grundhaltung, die sich hier aufs trefflichste ausdrückt, andererseits wegen der Vielzahl an Fußpedalen, mit denen gearbeitet wird. So sah es halt immer so aus, als ob die GitarristInnen unablässig auf ihre Schuhe starren statt einmal einen forschen Blick ins Publikum zu wagen.

Blonde Redhead, einst eine Entdeckung des Sonic-Youth-Schlagzeugers Steve Shelley, machen seit gut anderthalb Jahrzehnten beglückende, berauschende, immer auch melancholisch machende Musik. Mit ihrer vorletzten Platte, die symptomatisch „Misery is a Butterfly“ hieß, schafften sie es, sich von ihren No-Wave-Wurzeln mehr und mehr zu lösen und ein größeres Publikum zu finden, mit dem aktuellen Album „23“ (4AD/Beggars Group) ging es weiter und tiefer in die girlandenhafte, emotionale Verspultheit. Musik von Träumern für Verträumte. Poppig und bunt. Wenn man der Musik von Blonde Redhead eine Farbe zuordnen müsste, wäre es wohl kein Rotblond, sondern ein sehr dunkles Lila. Kennzeichnend außerdem: der Säuselgesang von Kazu Makino, die auf „23“ das Mikrofon allerdings manchmal Amedeo Pace überlässt, während zu den verhallt-kreisenden Gitarren plötzliche Bläser hinzukommen.

Blonde Redhead, blonder Rotschopf, blondeR IndianerIn, ein nicht unbedingt passender Name, schaut man sich die Urbesetzung an. Da haben nämlich zwei weit voneinander entfernte Familien und Nationen zueinander gefunden, an einem Ort in der Mitte. Die beiden japanischen KunststudentInnen Kazu Makino und Maki Takahashi langweilten sich Anfang der Neunziger in New York und lernten dort die italienischen Zwillinge Simone und Amedeo Pace kennen. Man gründete eine Band, spielte die ersten Konzerte, wurde von Steve Shelley entdeckt, gesignet und produziert. Mittlerweile ist aus dem Quartett ein Trio geworden, eine Japanerin und zwei Italiener aus New York. Man darf gespannt sein, wie das Trio ihren Breitbandsound, die elektronischen Grundmuster, das breite Schwingen, das sie ebenfalls im Repertoire haben, live umsetzen können. Heute Abend spielen sie im Postbahnhof, ein Hingehen sei hiermit dringend empfohlen.

Vielleicht wird dort auch die Eingangsfrage geklärt, die Frage, worum genau es eigentlich geht in dieser Musik. Und warum diese verlorenen Klänge so überzeugen können. Weil es zu wenig verzückende Momente gibt im Leben? Weil Betörung immer ein guter Drogenersatz ist? Weil ein gutes Drittel des Lebens im Schlaf erledigt wird? Das Cover der letzten Platte, „23“, die (nicht) nur für paranoide Geister etwas mit Weltverschwörung und Illumination zu tun hat, ziert eine vierbeinige Tennisspielerin. Eine Antwort weiß sie vermutlich auch nicht, dafür wird sie wendig sein und schnell. Und sie spielt halt einfach gut. RENÉ HAMANN

Blonde Redhead, heute ab 21 Uhr im Postbahnhof