die taz vor zehn jahren über das scheitern der rechtsextremen an der deutschen einheit
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Warum ist der Rechtsextremismus in Deutschland so erfolglos, wo er doch eigentlich optimale Bedingungen hat: Rund 15 Prozent der Bundesbürger verfügen über ein rechtsextremes Weltbild, wir stecken in der tiefsten ökonomischen Krise seit 1945, und die Unzufriedenheit mit den Politik ist groß. Mehr noch: Ein beachtlicher Teil des Problemhaushalts der Nation leistet der Rechten unmittelbar Vorschub: Ausländer, Asyl und Kriminalität – von EU und Euro zu schweigen.

Doch 1989 die „nationale Frage“ auf die Tagesordnung kam, zeigte sich der Rechtsextremismus hilflos und gelähmt. Man wußte damals nicht so recht, ob man in nationalen Jubel ausbrechen oder „Verrat!“ schreien sollte, weil nun die ehemaligen deutschen Ostgebiete definitiv futsch waren. Schlimmer noch: Die Einheit wurde von jenen zustande gebracht, denen der Rechtsextremismus stets Verrat an der Nation vorgeworfen hatte. Der Rechtsextremismus stürzte in eine abgrundtiefe Existenzkrise. Die Fanatiker leugneten weiterhin trotzig die Kriegsschuld Deutschlands und den Holocaust, während sich einige wenige Kämpfer zur „Volkstumsarbeit“ ins Gebiet Kaliningrad begaben. Wer damals die rechtsextreme Presse verfolgte, konnte vergnügt miterleben, was Sprachlosigkeit ist. Der gesamte ultrarechte Blätterwald einschließlich der Jungen Freiheit schrieb unablässig an den ureigenen Themen vorbei. Die oft ebenfalls als „neue Rechte“ titulierten Zitelmann & Co (zumeist eher Konservative als Rechtsextremisten) besetzten nicht etwa den Einheitsdiskurs, sondern reproduzierten hilfloses Gestammel. Während sie noch davon träumten, wie das vor nationalem Selbstbewußtsein strotzende Deutschland stolz durch die Weltmeere segelt, war der ungeliebte Steuermann Helmut Kohl längst dabei, das Schiff fest in Brüssel zu vertäuen. Die extreme Rechte ist an der deutschen Einheit gescheitert. Davon wird sie sich so bald nicht erholen. Richard Stöss, taz vom 25. 6. 1997