HAMBURG WILL NICHT, DASS DIE MENSCHEN NACH VENEDIG REISEN, NUR WEIL SIE DORT KOSTENLOSES W-LAN HABEN. DEN MENSCHEN SCHEINT ES DABEI NEBENSÄCHLICH ZU SEIN, OB SIE AUSSPIONIERT WERDEN
: Überall das Internet

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Hamburg will etwas werden, was es früher schon mal gewesen ist. Das Tor zur Welt. Jedenfalls zur virtuellen Welt und jedenfalls in der Innenstadt. Denn das ist der Plan, die Innenstadt soll flächendeckend mit kostenlosem W-LAN versorgt werden, damit jeder, Gast oder Einheimischer, auch unterwegs, beim Einkaufen, zwischen Zara und H&M, zwischen Peek & Cloppenburg und Karstadt, beim Schwäne-Füttern oder beim Burger-Essen ins Internet kann. Denn daran muss sich eine internationale Großstadt inzwischen messen lassen, ob man kostenlos in ihr ins Internet kann.

Wenn man in einer internationalen Großstadt nur in der internationalen Großstadt sein und nicht gleichzeitig und nebenher noch im Internet surfen kann, dann ist diese internationale Großstadt genau genommen gar keine. Wir Deutschen hinken in dieser Hinsicht ganz schön hinterher, sagt der eine und auch der andere. Wir bieten nur ein paar siebenhundert Hotspots an, in Hamburg in der Innenstadt, bereitgestellt von der Telekom und von Kabel Deutschland, wo einer sich nur für circa eine Stunde einloggen und surfen kann. Oder Mails beantworten. Oder Ähnliches. Die Hauptbeschäftigung von Menschen in der Innenstadt ist doch neben dem Shoppen das Onlinegehen!

Und ich rede nicht von den Teenagern, denn die Teenager haben neben dem I-Phone auch alle eine Internetflatrate und sind auf flächendeckendes Internet deshalb nicht angewiesen. Aber all die Hamburg-Gäste und anderen Erwachsenen, die keine Flatrates haben und auf ihrem alten Handy nur telefonieren können, die brauchen dringend dieses flächendeckende Internet, sonst weichen sie am Ende aus, auf Städte wie zum Beispiel Venedig oder Wien.

Schuld am deutschen W-LAN-Rückstand ist mal wieder die deutsche Rechtssprechung, die zum Beispiel den Betreiber eines Cafés, der sein W-LAN den Gästen zur Verfügung stellt, haftbar macht für eventuelle Urheberrechtsverstöße seiner Gäste, das nennt man die Störerhaftung. Die Grünen und auch Die Linke hätte die gern abgeschafft gesehen, aber die CDU und die SPD lehnten dies im Bundestag ab.

Was soll ich sagen, zur Störerhaftung? Ich als Autorin? Die gern ein paar Cent an jedem konsumierten Buch verdient hätte, weil sie auch nicht in Geld schwimmt? Würden denn Leute in ein Café gehen, um sich dort anonym was beschaffen zu können, was zu Hause, mit ihrem eigenen Account, gefährlicher wäre? Ähm, ja, ich denke schon. Das läuft auch so mit anderen Sachen. Drogen zum Beispiel. Die lässt man sich selten nach Haus liefern.

Und dennoch ist so ein Gesetz nur ein kleines Hindernis, ein Steinchen auf dem Weg, ein Anachronismus, denn die Welt ist schon ganz woanders, und lässt sich von so einem kleinen, deutschen Gesetz nicht aufhalten. Interessant ist aber, warum große Firmen wie die Telekom, wie Kabel Eins und jetzt Willy-Tel so an der Einrichtung einer kostenlosen W-LAN-Zone in der Innenstadt interessiert sind und Millionen in den Netzausbau investieren wollen. Ein Geschenk an die Stadt? Firmenwerbung?

Ein nicht kommerzieller Anbieter wäre das Projekt „Freifunk“, das die Sache allerdings auch kritisch sieht. „Wenn du etwas umsonst bekommst, bist du am Ende selber das Produkt“, wird in der Presse verschiedentlich Michael Hirdes vom CCC dazu zitiert. Ja, schon, wir werden natürlich ausspioniert, wenn wir ins Internet gehen, aber wir würden das auch in Venedig und Wien, wenn wir aus Bequemlichkeitsgründen und wegen des freien W-LANS dorthin ausgewichen wären. Wir sind ja nun aufgeklärt und leben in dieser Welt, die nun mal so ist.

Was schert uns der Urheberrechtsinhaber, wenn wir selber sowas nicht sind und was schert uns die Ausspioniererei, wenn wir momentan nicht als Opfer eines totalitären Systems aufgrund gesammelter Informationen identifiziert, eingesperrt oder gefoltert werden? Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.