Atomminister sieht schwarz

Kiels Wirtschaftsminister Austermann prognostiziert der Windenergie eine rosige Zukunft – und hält zugleich alte Atommeiler und neue Kohlekraftwerke für unverzichtbar. Nur so sei die Stromversorgung sicher, denn Windkraft allein sei zu „flüchtig“

von ESTHER GEISSLINGER

Die Prognosen klingen gut: Schleswig-Holstein wird bis zum Jahr 2020 seine Stromproduktion aus erneuerbaren Energien wie Wind und Biomasse nahezu verfünffachen und seinen Stromhunger allein daraus befriedigen können – das geht aus dem „Grünbuch Energie“ hervor, das der Kieler Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) gestern vorgestellt hat.

Er machte dabei auch einen konkreten Vorschlag, um mehr Windenergie auf den Markt zu bringen: Der Zuschuss, den Betreiber von Anlagen erhalten, sollte deutlich erhöht werden. Zurzeit gibt es neun Cent pro ins Netz eingespeiste Kilowattstunde, Austermann schlug zwölf Cent vor – die Summen sollen aber mittelfristig wieder sinken. Die Förderung solle ein Anreiz für Unternehmen sein, mehr in neue Techniken und Anlagen zu investieren. Vor allem geht es dabei um die Off-Shore-Parks vor den Küsten, die nicht so weit sind wie geplant.

Doch das Plus an Wind habe einen Pferdefuß, so das zweite Fazit des Grünbuchs: Parallel zur Windenergie wachse der Bedarf an anderen Brennstoffen. Und da die Atomkraftwerke ja abgeschaltet werden sollen, müssten dann ja wohl fossile Brennstoffe, vor allem Kohle, ins Spiel kommen. Was nach der Logik des Ministers heißt: Unterm Strich steigt der Ausstoß von schädlichem Kohlendioxid. Der Grund sei, dass Windenergie „flüchtig“ sei und nicht immer zur Verfügung stehe. Daher müssten traditionelle Kraftwerke den Bedarf absichern.

Das Grünbuch soll eigentlich eine Basis für eine ideologiefreie Debatte sein – das Ministerium hat aktuelle Daten zusammengetragen und sie fortgeschrieben. Doch ohne Glaubenskriege und gegenseitige Beschuldigungen klappt es offenbar nicht: Was „von Berlin verkündet“ werde, nämlich dass trotz der Abschaltung der Atomkraftwerke die CO2-Emission sinken könnte, ist „nicht rational“, sagte Austermann, und sein Staatssekretär Jost de Jager fügte hinzu: „Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat sich die Daten schön gerechnet. Wir tun das nicht.“ Austermann wies darauf hin, dass es, wenn der Meiler in Brunsbüttel 2008 oder 2009 vom Netz geht, eine Versorgungslücke geben werde: Erst 2011 stünde ein entsprechend großes Kohlekraftwerk zur Verfügung. Ratschläge, um diese Lücke zu füllen, hatte der Minister keine – außer dem an diesem Tag nur zwischen den Zeilen ausgesprochenen, Brunsbüttel länger laufen zu lassen.

Dass Austermann ein Freund der AKWs ist, verhehlt er nicht: In den vergangenen Wochen forderte er mehrfach, Brunsbüttel länger laufen zu lassen – obwohl der Bundesumweltminister inzwischen erklärt hat, einen entsprechenden Antrag des Betreibers Vattenfall abzulehnen. Scharf reagierte denn gestern auch die für Reaktorsicherheit zuständige Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD): „Anders als Herr Austermann halte ich, hält die SPD, die Atomkraft für keine zukunftsweisende Energiealternative.“ Und: „Aktuelle Studien zeigen, dass die Klimaschutzziele ohne Kernkraft erreichbar sind. Versorgungsengpässe muss in Schleswig-Holstein niemand fürchten.“

Gegenfeuer kam vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Johann Wadephul : „Wer wie die Sozialministerin die Kenntnisnahme nachweisbarer Fakten verweigert, belegt nur seine ideologische Bodenhaftung.“ Doch es gibt Experten, die durchaus anderes sagen – unter anderem eine Studie der Hamburger Arrhenius Consult GmbH und des Bremer Energie Instituts für den Zukunftsrat Hamburg, die die taz nord vor kurzem vorstellte. Demnach kann der Norden deutlich mehr Energie produzieren, als er selbst verbraucht – ohne weitere Kohlekraftwerke. Dass ganz Europa rein aus regenerativen Energien versorgt werden kann, glaubt der Energieexperte der Grünen-Landtagsfraktion, Detlef Matthiessen. Sein Fazit des Grünbuchs: „Schon die Grundvoraussetzungen sind falsch.“ Austermann, so sein Vorwurf, halte sich nicht an seine Vorgaben: „Er nennt Energieeinsparung als wichtige Säule, geht aber davon aus, dass der Bedarf um 20 Prozent steigt.“ Auch andere, bereits bekannte Technologien fänden kaum Erwähnung: „Kraft-Wärme-Kopplung wird gerade auf sechs Zeilen erwähnt, dabei deckt Dänemark darüber bereits 50 Prozent seines Bedarfes.“ Auch „intelligente Netze“ könnten dafür sorgen, Energie genau dort einzusetzen, wo sie gebraucht werde. „Aber Herr Austermann kann offenbar nur in großen Kraftwerken denken.“ Wenn die Technik richtig angewendet werde, sei es nicht nötig, Windstrom durch Kohlestrom abzusichern, stattdessen könnten kleine Einheiten in einem Gesamtnetz zusammengeschaltet und immer dann Energie liefern, wenn sie gebraucht werde.

Ähnlich äußerte sich die SPD: Austermanns Ideen seien „zu kurz gedacht und keine energiepolitische Strategie“. Das Grünbuch wird in den nächsten Wochen von den politischen Fraktionen und Experten diskutiert. Am Ende soll ein „Weißbuch“ stehen, in dem die Daten zusammengefasst sind, auf die alle sich einigen können.

Das werden nach jetzigem Stand wenige sein.