Den Rap neu vermessen

Hiphop ist mehr als Gangster-Rap und Berliner Härte: Das zeigt Textor, Rapper von Kinderzimmer Productions, auf seinem Album „Asphalt“ und vergaß dafür seine Orchesterkarriere. Ein Porträt

VON THOMAS WINKLER

Ein Blick auf den Treptower Park. Ein sonnendurchfluteter Raum, weiße Wände, grauer Teppichboden. Ein kleines Regal mit Notenblättern. Darüber, an der Wand, das Diplom, eingerahmt. Es bescheinigt Henrik von Holtum, die Ausbildung zum Kontrabassisten abgeschlossen zu haben. Mit Erfolg.

Ein wenig erinnert die Kombination aus Regal und Diplom an einen Altar. Auf dem hat, wenn man so will, Herr von Holtum unlängst eine Karriere als Orchestermusiker geopfert, hat die Vergangenheit im Schwäbischen hinter sich gelassen, die Haare gekürzt, den Umzug nach Berlin gewagt und sich entschlossen, fortan vor allem Textor zu sein.

Textor ist Rapper. Einer der besten der Republik und einer der fürchterlichsten. Das kommt darauf an, wen man fragt. Als Stimme von Kinderzimmer Productions hat er Standards gesetzt in Zeiten, als intelligenter Rap aus Deutschland eine Zukunft zu haben schien. Heutzutage ist Hiphop zwar Stammgast in den deutschen Charts, aber es ist nicht der von Kinderzimmer Productions.

Kinderzimmer Productions haben trotzdem ein neues Album gemacht. Zusammen mit seinem Partner DJ Quasi Modo alias Sascha Klammt hat Textor 13 neue Tracks zusammengeschraubt, sie zwischen ein Intro und ein Outro gepackt und das Ganze „Asphalt“ genannt. Es ist ein sehr gutes Album geworden. Ein Album voller fantasievoller Samples, voller runder Reime und schlauer Zeilen. Ein intelligentes Album. Ein nicht allzu zeitgemäßes Album.

Das war einmal anders. Es gab einen Moment in der Karriere von Kinderzimmer Productions, an dem sie plötzlich ganz auf der Höhe der Zeit zu sein schienen. Kurz nach dem Jahrtausendwechsel unterzeichneten sie einen Vertrag mit einem international operierenden Unterhaltungskonzern, der wenig später 28 Millionen Dollar zahlte, nur um eine gewisse Mariah Carey wieder loszuwerden. In Textor und Quasi Modo investierte die Firma nicht annähernd so viel, aber doch die Hoffnung, dass sich die beiden im Fahrwasser der Absoluten Beginner zur nächsten rappenden Teenie-Sensation entwickeln könnten. Diese Hoffnung, das ist bekannt, trog. Die Reime von Textor waren zu anspruchsvoll, die von Quasi Modo programmierten Beats zu verspielt, Kinderzimmer Productions im Ganzen zu sperrig für den Mainstream. Außerdem sahen der Rapper mit den fusseligen Dreadlocks und der DJ mit der hohen Haaransatz auch so gar nicht nach Popstar aus. Heute sind die Dreads Geschichte und Textor sagt: „Ich bin froh, dass diese Option durch ist.“

Vor gut einem Jahr legte er dann auch die Karriereoption klassische Musik zu den Akten. Die Entscheidung für Kinderzimmer Productions war auch eine für ein Leben am Rande des Existenzminimums. Denn das Duo, das sich in Ulm gründete, hat zwar eine treue Anhängerschaft, aber die ist überschaubar. Drei- bis viertausend Stück verkauft man von jedem Album, und man füllt die mittelgroßen Clubs. Das reicht, auch wenn man dank eigenem Kleinstlabel einen Großteil der Profite einstreicht, nicht zum Leben. „Keine kleinen Brötchen mehr, Zeit zum Stollenbacken“, rappt Textor ironisch auf dem neuen Album. Doch noch verdient sich Klammt die Brötchen vor allem als Ton-Ingenieur, von Holtum mit „ein paar zusätzlichen Jobs, die aber alle mit Musik zu tun haben“.

Diese Musik muss in Zukunft nicht unbedingt ausschließlich Rap sein. Die im Hiphop sonst so verbreiteten Scheuklappen waren Klammt und von Holtum schon immer fremd. Ihre Samples stammten nicht nur aus den abgesicherten Soundreservoirs, sondern bisweilen auch aus Kinderfernsehsendungen. Und von Holtum spielte all die Jahre bereits Bass bei Staub, einer Band, die versuchte, Country bis zum Stillstand zu verlangsamen. Und er schmiedet Pläne für eine Nicht-Hiphop-Platte. Denn sicher, er ist Rapper, aber in erster Linie sieht sich der 33-Jährige als Musiker. „Die Wege, um mit Musik eine Existenz aufzubauen, sind mannigfaltig“, sagt er, „ich habe viele Ideen.“

Diese Ideen sind leichter in Berlin umzusetzen als in Ulm. Der Umzug war trotzdem eher ein Tapetenwechsel: „Stuttgart hatten wir schon“, erzählt Textor, „München war keine Option, in Berlin waren schon die meisten meiner Freunde.“ Nun wohnt er in Kreuzberg und arbeitet in Treptow. In dem schmucklosen Raum stehen Piano, Keyboard und Sampler. Textor nennt es sein „Labor“. Hier entstehen seine Beiträge zu Kinderzimmer Productions, die Kommunikation mit dem in Schwaben gebliebenen Quasi Modo macht das Internet möglich. Die Distanz sei kein Problem, die Band werde es geben, „solange sie uns nicht an der Entwicklung hindert, weil vielleicht die Grenzen von Hiphop zu eng geworden sind“.

Bis es so weit ist, weiten Kinderzimmer Productions diese Grenzen weiter aus. Hiphop kann allerhand mehr sein als nur Gangsta-Rap, das zeigt „Asphalt“, mehr als nur Battle und Berliner Härte, mehr als Mainstream. Auch in der Stadt von Sido und Bushido, das beweist Textor, ist es möglich, für Menschen mit Abitur zu rappen. In Treptow steht ein Altar, vor dem man niederknien kann, um dem Hiphop-Gott dafür zu danken.

Kinderzimmer Productions: „Asphalt“ (Kinderzimmer Rec/ Rough Trade)