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: Helmut Höge über Berlintouristen

„Für Reisende ziemt sich ein skeptischer Realism“ (Goethe)

Wenn man sich jetzt in der Stadt dort aufhält, wo die Touristen zusammenströmen und die Tourist-Guides – meist auf Englisch – sie bellend informieren, dann wird man nach zwei, drei alkoholischen Erfrischungsgetränken selbst zu einem Touristen – in der eigenen Stadt. Das heißt, wenn man nicht gerade gefragt wird: „Kennen Sie sich hier aus?“ Da will zum Beispiel eine japanische Reisegruppe in der Friedrichstraße wissen, ob das gegenüberliegende Gebäude die städtische „Oper“ sei. „Nein, das ist „Opel Berlin“. Wenig später – an der Staatsoper Unter den Linden – wird man gefragt: „Who was Linden?“

Vor Wochen dominierten noch die jungen, erlebnishungrigen spanischen Touristen, jetzt mehren sich langsam die Japanerinnen. Zwar werden in der Stadt wie verrückt Hotels gebaut (das europaweit größte ist das „Estrel“ in Neukölln). Aber da die Hälfte aller Berlintouristen jung sind, werden vor allem noch mehr Hostels – also Billigherbergen – gebraucht: Knapp 50 annoncieren bereits auf einer gemeinsamen Internetseite, darunter das europaweit größte Hostel „Generator“ in der Storkower Straße. Witzigerweise annoncieren sich die meisten als „located in the center of the city“.

Touristen, auch wenn sie jung sind und wenig Geld haben, sind zum Ausnehmen da – das heißt, sie sind eine Einnahmequelle: Auf die eine oder andere freundliche Weise werden sie dabei immer beschissen, notfalls sogar brutal beraubt oder entführt. Mindestens bekommen sie laufend billige Tütensoßen und scheußliche Dosensuppen zu überhöhten Preisen serviert. Dafür überbietet man sich mit Open-Air-Veranstaltungen zu ihrer Unterhaltung und mit Events der Superlative zu ihrem Staunen: Im Sommer vergeht keine Woche, ohne dass irgendwo ein Straßen- oder Musik-Fest, eine „Lange Nacht“ oder eine „Premiere“ stattfindet.

Die Tourismusbranche ist derzeit das Einzige in Berlin, was boomt: Für 2006 verzeichnete die hiesige „Marketing GmbH“ 16 Millionen Übernachtungen. Rund 250.000 Jobs sind inzwischen vom Tourismus abhängig, das heißt, dieser ganze Bedienungssektor wird langsam auch soziologisch interessant. Unlängst wurde den Zimmermädchen in sechs Fünf-Sterne-Hotels der Lohn pro Zimmer von 3,58 Euro auf 2,90 Euro gekürzt. Sie kamen damit auf einen Stundenlohn von 5,80 Euro. Die zumeist ausländischen Studenten schrieben einen Protestbrief, in dem sie eine Belegschaftsversammlung forderten. Fünf von ihnen schmiss die Geschäftsführung daraufhin als Rädelsführer raus, die Übrigen gaben klein bei und fügten sich.

Bei der IG BAU, die für Gebäudereinigungsbetriebe zuständig ist, meinte man dazu: „Die Zimmerreinigungsfirmen haben einen ganz schlechten Ruf. Das ist eine Sklavenbranche, deswegen kriegen die auch kaum Leute, sie versuchen es mit Ausländern, die sich nicht so gut auskennen. Wenn sie krankgeschrieben werden, kriegen sie mehr – als wenn sie arbeiten. Das ist eine Katastrophe.“

Einen schlechten Ruf haben auch immer mehr Lokale in Mitte, Prenzlauer Berg und Charlottenburg, die hauptsächlich von Touristen frequentiert werden und deren Mühe sich bereits beim Verfassen ihrer Speisekarten erschöpft, wo aus Aldi-Karotten dann etwa „handgeschälte Gascogne-Möhrchen“ werden. Umgekehrt wollen viele Traditionslokale partout nicht in die Touristenführer aufgenommen werden: „Bloß nicht! Erst bleiben mir die Stammgäste weg – und dann auch die Touristen, weil die Atmosphäre hin ist“, so sagte es ein Wirt in Kreuzberg.

Ähnliches gilt auch für das Weichbild der Stadt: Zwar bringen die Touristen so etwas wie eine stabile gute Laune mit. Aber durch ihre schiere Masse und die dadurch möglich werdenden Gewinnaussichten von „Investoren“ versauen sie einen Kiez nach dem anderen – diese werden durch sie quasi zu No-Go-Areas, wo das Vergnügen ständig in harte Arbeit ausartet und alles zu Nepp und Dekoration wird – bis hin zum ausländisch klingenden Akzent des Bedienungspersonals.