Geringverdiener haben immer weniger in der Tasche

VERTEILUNG Die untersten Nettoeinkommen sind in zehn Jahren um bis zu 22 Prozent geschrumpft

BERLIN taz | Geringverdiener haben im letzten Jahrzehnt drastische Verluste bei ihren realen Nettoeinkommen hinnehmen müssen. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet.

Im Durchschnitt hatten die abhängig Beschäftigten zwischen 2000 und 2010 real 2,5 Prozent weniger Lohn in der Tasche. Bei den Geringverdienern lagen die Einbußen jedoch zwischen 16 und 22 Prozent. Mittlere bis höhere Einkommen mussten Verluste von durchschnittlich knapp 0,9 Prozent hinnehmen. Nur im obersten Einkommenszehntel (der Lohnabhängigen) gab es ein Einkommensplus von rund 0,8 Prozent.

DIW-Forscher Markus Grabka hatte für die Erhebung Daten des sozioökonomische Panels (Soep) ausgewertet und die ermittelten Nettoeinkommen in zehn gleich große Gruppen eingeteilt. In der untersten lag das Einkommen im Jahr 2000 bei 270, 2010 nur noch bei 211 Euro. Im obersten Dezil lag es 2000 bei 3.419 Euro, 2010 bei 3.446 Euro. In Bezug gesetzt wurden die Zahlen zur Preisentwicklung von 2005.

Neben anderen oppositionellen Arbeitsmarktpolitikern forderte auch Brigitte Pothmer von den Grünen die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, eine Neugestaltung der 400-Euro-Minijobs sowie gleiche Löhne für Leiharbeiter und Stammbeschäftigte. „Das Ausufern der Niedriglöhne muss beendet werden“, sagte Pothmer. Wie bei der Steuer müssten Einkommen bis 2.000 Euro progressiv mit Sozialversicherungsabgaben belastet werden: Untere Einkommensgruppen müssten dann weniger Kassen- und Rentenbeiträge bezahlen.

Grabka sieht mehrere Gründe für die schwindenden Löhne der Geringverdiener, darunter niedrige Lohnabschlüsse in den vergangenen Jahren oder die Zunahme weiblicher Beschäftigung. Er appellierte vor allem an die Bundesregierung: „Die Politik könnte gegensteuern, in dem sie die atypische Beschäftigung wieder begrenzt.“

Das Statistische Bundesamt gab am Dienstag neue Zahlen dazu heraus: Demnach erhöhte sich die atypische Beschäftigung zwischen 2009 und 2010 um 243.000 Personen auf 7,84 Millionen Personen bei insgesamt 30,9 Millionen abhängig Beschäftigten. Die im Aufschwung 2010 entstandenen Stellen wurden demnach zu drei Vierteln im prekären und niedrig entlohnten, subventionierten Bereich, vor allem der Leiharbeit geschaffen. Als atypisch definieren die Statistiker Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung, Teilzeitjobs und befristete Stellen. EVA VÖLPEL

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