„Die Klima-Debatte ist europazentriert“

Lo Sze Ping, Kampagnendirektor bei Greenpeace China, kritisiert die europäische Klimapolitik: Durch die Verlagerung der Produktion in Schwellenländer werde ein Teil der Kohlendioxid-Emissionen exportiert. Die Waren aber konsumieren Europäer

LO SZE PING ist Kampagnen- und Kommunikationsdirektor bei der Organisation Greenpeace in China.

INTERVIEW STEPHAN KOSCH

taz: Herr Lo, in der vergangenen Woche wurde eine niederländischen Studie veröffentlicht, wonach China inzwischen die USA als größten Produzenten von Treibhausgasen überholt hat. Hat Sie das überhaupt überrascht?

Lo: Wir haben diese Entwicklung kommen sehen. Egal ob die Datenbasis jetzt schon korrekt ist oder nicht – es ist nur eine Frage der Zeit, dass China zum größten Treibhausgasemittenten der Welt wird. Aber das ist nicht allein ein chinesisches Problem.

Sondern?

Diese Entwicklung ist Teil der Globalisierung. Europa und Nordamerika exportieren einen Teil ihrer Klimabilanz nach China, weil sie Produktion aus ihren Ländern in die Schwellenländer verlagern. Die dort hergestellten Waren werden aber weiterhin in den Industrieländern verbraucht. Damit ist der wachsende Kohlendioxidausstoß in China ebenso ein Problem der Industriestaaten. Hinzu kommt, dass Europa und USA in der Vergangenheit bereits große Mengen Kohlendioxid (CO2) in die Luft geblasen haben. Und beim Pro-Kopf-Ausstoß liegt China noch immer hinter den Industriestaaten.

Also kann sich China zurücklehnen, bis USA und Europa aktiv werden?

Nein. Aber es geht darum, die Verantwortung zu teilen. China hat einen nationalen Klimaplan vorgelegt, der gute Maßnahmen enthält. Zum Beispiel soll die Energieeffizienz innerhalb von fünf Jahren um 20 Prozent erhöht werden. Das reicht nicht, um die Probleme zu lösen. Aber ich glaube, kein anderes Land hat derzeit ein ähnlich ambitioniertes Ziel.

Sie klingen sehr diplomatisch, wenn es um die Bewertung der chinesischen Regierungspolitik geht.

Wir sind nicht weniger diplomatisch, pragmatisch und radikal als unsere Greenpeace-Kollegen in den anderen Ländern der Erde. Die Frage ist doch: Welches ist der effektivste Weg in dem jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Zusammenhang, um eine positive Veränderung herbeizuführen?

Auch das klingt wie Politikersprache.

Mir geht es um Folgendes: Die derzeitige Debatte um Klimaschutz ist zu Europa-zentriert. Das bedeutet nicht, dass Entwicklungsländer keine Klimaschutzmaßnahmen ergreifen müssen oder ihre Treibhausgasemissionen nicht senken müssten. Natürlich müssen sie das. Aber im Moment zeigen die verschiedenen Länder mit dem Finger aufeinander und keiner bewegt sich. Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen eine pragmatische Lösung finden, um alle Länder an Bord zu holen.

Greenpeace ist in 40 Ländern weltweit vertreten. Seit 1997 gibt es die Non-Profit-Umweltschutzorganisation auch in China: Damals wurde das erste Büro in Hongkong gegründet, weitere in Peking und Guangzhou folgten. Dem „phänomenalen Wirtschaftswachstum“ sollte ein „grünes Wachstum“ entgegengehalten werden – denn Entwicklung solle nicht auf Kosten der Umwelt gehen, heißt es von Greenpeace China. Einer der Schwerpunktbereiche der Organisation ist Informationsarbeit zu Pestiziden: Die Volksrepublik zählt zu den fünf größten Pestizidmärkten weltweit. Viele der Gifte werden laut Greenpeace China unter veralteten Bedingungen hergestellt und gefährden die Gesundheit der Bewohner wie Tiere und Natur. Besonders betroffen ist die Wasserqualität. TAZ

Wären Obergrenzen für den Kohlendioxid-Ausstoß, die für alle gültig sind, eine solche Lösung?

Es gibt viele Wege, ein internationales Klimaschutz-Regime zu formen. Eine Deckelung der Treibhausgase ist nur einer davon. Ich glaube aber nicht, dass das von großen Entwicklungsländern wie China, Brasilien oder Indonesien akzeptiert wird. Sie sehen eine Deckelung als Anti-Entwicklungs-Instrument. Wie müssen ein innovatives internationales System finden, das den Bedenken solcher Länder Rechnung trägt.

Wie könnte das konkret aussehen?

Es könnte zum Beispiel Anreize für Brasilien oder Indonesien enthalten, die Abholzung zu verringern. Außerdem wurde den Entwicklungsländern in den vergangenen zehn Jahren immer wieder der Transfer von umweltfreundlicher Technologie versprochen. Wir brauchen ihn jetzt. Dann kann es auch relevante Selbstverpflichtungen geben. Und die Industrienationen müssen sich spätestens bis 2040 zu einem Null-Emissions-Ziel verpflichten. Sonst gibt es für die Entwicklungsländer keinen Spielraum mehr, ihren Lebensstandard zu erhöhen.