Geheimnisse im All und zur See

Muscheln scheinen wenig mit Krautrock zu tun haben. Bei dem Berliner Gitarristen Günter Schickert, einem lange Zeit im Hintergrund aktiven Vertreter des Genres, von dem es seit kurzem wieder vermehrt zu hören gibt, sieht die Sache aber ein wenig anders aus: Schickert macht mit den Kalkgehäusen dieser Meerestiere gern schon mal Musik, er hat sogar eine ganze Sammlung solcher Urhörner. In Konzerten stellt der Berliner Gitarrist sie dem Publikum mitunter kurz vor, um dann darauf zu improvisieren. Auch „OXTLR“, sein gemeinsam mit dem deutsch-palästinensischen Musiker Ghazi Barakat alias Pharoah Chromium entstandenes Album, beginnt mit den Tönen eines Muschelhorns, unter denen ein dunkel krächzender Synthesizerbass sein Unwesen treibt. Die archaischen Blasinstrumente und die artifizielle Elektronik gehen dabei eine recht zwanglose Verbindung ein. Während dieser zwei Stunden Space-Drone-Ambient überwiegen jedoch die Gitarren- die Muscheltöne. Sechs ausgedehnte Nummern hat das Duo eingespielt, zu denen der dunkel gehaltene Saturn auf dem Cover das passende Bild liefert: Tatsächlich fühlt man sich bei diesen beatfreien Schlaufen, die langsam ihre Umlaufbahnen ziehen und vom Echo vorangetrieben werden, an die Geräumigkeit des Weltalls erinnert. Es ist eine geheimnisvolle Weite, die weniger von Gefahr kündet als von Unbekanntem. Man überlässt sich ihm sehr gern.

Geheimnisvoll gibt sich auch die Musikerin Theresa Stroetges mit ihrem Soloprojekt Golden Diskó Ship. Auf den ersten Blick ist die Grundausstattung von Stroetges’ zweitem Album „Invisible Bonfire“ zwar solider – man hört Beats und eingängige Gesangsmelodien über Gitarren- und Keyboardakkorden. Doch was vertraut beginnt, wird im nächsten Augenblick verfremdet. Die Stimme, eben noch klar und fast kindlich, mutiert unvermittelt zu elektronischem Röcheln, schlichte Songstrukturen werden angedeutet, nur um gleich wieder zu kollabieren und an unerwarteter Stelle erneut aufgegriffen zu werden. Der Gesamteindruck bleibt gleichwohl der von großer Gelassen- und Schönheit, selbst wenn diese Schönheit sich nicht in makelloser Oberflächengestaltung ergeht, den einen oder anderen Riss verpasst bekommt. Dient alles der Ausgewogenheit. Es ist Dream-Pop, als sperrige Elektronik getarnt, Folk für das Zeitalter der erneuerbaren Energien.

TIM CASPAR BOEHME

■ Golden Diskó Ship: „Invisible Bonfire“ (Spezialmaterial/Irascible)

■ Günter Schickert & Pharoah Chromium: „OXTLR“ (Grautag/Cargo)