Prekäre Superheldin zur Kasse gebeten

Trotz „moralischer Sympathie“ verurteilt Hamburger Gericht Studentin wegen Delikatessen-Diebstahls zu 750 Euro Geldstrafe. Bei dem Überfall durch die „prekären Superhelden“ sollten Delikatessen an Bedürftige umverteilt werden

Nicht nur die Medien, selbst der zuständige Richter am Hamburger Landgericht zeigte „moralische Sympathie“ für den Überfall der „prekären Superhelden“ auf ein Delikatessengeschäft. Genützt hat es ihnen wenig: Gestern wurde die Studentin Irene H. (30) wegen Diebstahls zu 750 Euro Geldstrafe verurteilt.

Am 28. April 2006 hatten rund 30 karnevalistisch verkleidete „prekäre Superhelden“ mit weißen Masken das Delikatessengeschäft „Frische Paradies“ in der Hamburger Großen Elbstraße gekapert. Sie packten Champagner, Hirschkeulen und andere Delikatessen ein, um sie an Bedürftige zu verteilen.

Es war nicht die erste Aktion der Euro-Mayday-Bewegung, die in Hamburg zum Argwohn der Staatsschutzbehörden immer mehr Zuspruch findet. Bereits am 1. Mai 2005 suchten Aktivisten am Rande der Euro-Mayday- Parade ein Gourmet-Buffet auf dem Blankeneser Süllberg heim, um die Delikatessen umzuverteilen.

Das Urteil von Richter Nils Werner gegen ihre Mandantin Irene H. kann Verteidigerin Gabriele Heinecke nicht verstehen. „Hier ist der Grundsatz des Prozessrechts auf den Kopf gestellt worden.“ Es habe keinerlei Beweise gegeben, dass ihre Mandantin an der Aktion beteiligt gewesen war, obwohl sie klammheimliche Freude gezeigt habe. Fotos vom Tatort, die im Web- Portal Indymedia veröffentlich und vom Staatsschutz des Landeskriminalamts Hamburg heruntergeladen worden waren, zeigten einem Gutachten des Bundeskriminalamtes zufolge keine belegbaren Ähnlichkeiten mit Irene H. „Das Bild ist kein Beweis, das hat auch die Staatsanwältin erklärt“, sagt Heinecke. Dass die Studentin ihre langen Haare zum Pferdeschwanz zusammenbindet, sei kein Indiz. Zudem hätten die Augenzeugen sie nicht erkannt.

Richter Werner stütze die Mittäterschaft von Irene H. lediglich auf Artikel und Aufsätze, die auf ihrem Laptop gespeichert waren. „Ich glaube, dass Sie dabei waren“, sagte Werner in seinem Urteil. „Sie gehören zu dieser Szene.“ Das Laptop war nach einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden, die die Polizei mit der Begründung „Gefahr im Verzug“ durchgeführt hatte, obwohl der Ermittlungsrichter das Durchsuchen ihrer Wohnung zuvor zweimal untersagt hatte.

Da das Bundesverfassungsgericht die Verwertung solch zweifelhaft gewonnener Erkenntnisse jedoch untersagt, hat Rechtsanwältin Heinecke bereits gestern Rechtsmittel eingelegt.

Kai von Appen