Sieg über die Alltagsqualen

DFB-Elf Im Duell der B-Mannschaften überzeugt das deutsche Team in Spanien mit einem taktisch reifen Auftritt. Schon kann sich keiner mehr an die jüngsten Probleme erinnern

Zur Abrundung der Thronfolge brachte Löw del Bosque die erste Heimniederlage seit 34 Spielen bei

AUS VIGO FLORIAN HAUPT

Joachim Löw strahlte die Entspanntheit eines Spanien-Urlaubers aus, nur der Versuch, aus einer riesigen Glaswasserflasche zu trinken, bereitete ihm nennenswerte Probleme. Der Mangel an Kleingefäßen im engen Presseraum des Estadio Balaídos gehörte zu den bisweilen etwas chaotischen Begleitumständen des Regenkicks an der Atlantikküste, aber Löw ist von der Destination España grundsätzlich zu sehr angetan, um dort den nörgelnden Deutschen zu markieren. Er hatte außerdem, wie gesagt, wirklich gute Laune, denn was er gesehen hatte, war der Stoff, aus dem Trainerglück ist.

Leute aus der zweiten Reihe, die alle Vorgaben umsetzen, ein neues taktisches System erproben, hinreichend Einsatz zeigen, den Daheimgebliebenen so ein kleines Zeichen senden und zum Schluss auch noch beim amtierenden Europameister gewinnen – viel mehr kann man nicht verlangen von einer Elf mit einem Torwart Ron-Robert Zieler, einem Abwehrchef Shkodran Mustafi und Komparsen wie Antonio Rüdiger, Erik Durm, Sebastian Rudy oder Kevin Volland. „Ich bin sehr, sehr zufrieden“, sagte Löw also. „Ich freue mich über das Ergebnis, aber vor allem über die Gesamtleistung der Mannschaft. Jetzt geht das Jahr freudig zu Ende.“

Während der 90 Minuten hatte man ihn nur einmal schimpfen sehen: als er zu Beginn des Spiels die hektischen Spieleröffnungen von Zieler monierte; weil der Keeper von Hannover 96 das fortan aber viel besser machte, gab es für diesen am Ende noch eine gute Zensur: „Er hat sauber hinten rausgespielt, das war wichtig für uns.“ Nach einer schwammigen Anfangsphase sicherte Deutschland mit einer Fünferkette die defensiven Schnittstellen; offensiv wandelte sich die Anordnung zu einem 3-4-3, in dem disziplinierter Positionsfußball die Spielkontrolle ermöglichte. Typisch das späte Siegtor durch einen Aufsetzer von Toni Kroos: so sehr er auch durch den aufgeweichten Boden und Einwechseltorwart Kiko Casilla begünstigt sein mochte, so klar war er ein Beweis der taktischen Klasse, die auch Deutschlands zweite Garde mittlerweile auszeichnet. Nach einem Ballgewinn am eigenen Strafraum wurde sicher kombiniert, klug der Raum besetzt und geduldig die Lücke gesucht – Fußball nach Löw’scher Façon, orchestriert von Kroos, dem Anker dieser Elf und logischen Chef der Zukunft.

Am Ende hieß es 51,5 zu 48,5 Prozent Ballbesitz. Für Deutschland. Es war das erste Mal in der seit 2008 währenden Amtszeit von Nationaltrainer Vicente del Bosque, dass seine Elf in dieser Statistik unterlag, die wie keine andere als Gral der spanischen Epoche galt. Alle Ergebnisse zusammen manifestierten zum Ende des Länderspieljahres noch einmal den Stabwechsel im Weltfußball. Zur Abrundung der Thronfolge brachte der neue König dem alten mal eben noch die erste Heimniederlage seit 34 Spielen bei.

Daneben feierte Löw aber vor allem einen innenpolitischen Erfolg. Dank seines gelungenen Coachings in Balaídos hat der Bundestrainer jetzt seine Ruh – viereinhalb Monate lang, bis es Ende März in Georgien wieder um die ja durchaus gefährdete EM-Qualifikation geht. Drei Punkte hinter Polen und gleichauf mit Irland und Schottland garantiert selbst die Erweiterung auf 24 Teilnehmer nach derzeitigem Stand nicht die Versetzung nach Frankreich. Schon drohte die Erinnerung an den goldenen Sommer hinter Alltagsqualen und weltmeisterlichen Motivationsproblemen zu verblassen. Nach der gestrigen Partie erscheinen Zweifel an der deutschen Qualifikation schon wieder absurd genug, um von Löw nicht mal erwähnt zu werden: „Spanien und Deutschland werden bei der EM eine entscheidende Rolle spielen“, prophezeite er. Sprach’s, drehte die Wasserflasche zu und entbot den Gastgebern noch einen Gruß in der Landessprache: „Muchas gracias.“