DVDESK
: Hat’s die Polizei erlaubt?

„Back to Politics“, kuratiert von Maike Mia Höhne, Deutschland 2011, ab rund 15 Euro im Handel erhältlich

Als Christoph Schlingensief bei der Münchner Filmhochschule abgelehnt wurde, stellte er sich in der Gemeinde Much im Rhein-Sieg-Kreis im Schnee in die Fußgängerzone und spielte – schauderhaft schlecht, muss man sagen – die deutsche Nationalhymne auf der Trompete. Die Kamera, die das filmt, zieht von der Nahaufnahme zur Totale im Lauf des kurzen Films aus dem Jahr 1982 auf. Da steht er, im Schnee, trompetet trotzig, weiter passiert nichts.

Mit diesem Frühwerk Schlingensiefs, der dann auch ohne Filmhochschule ins Kino und anderswohin fand, eröffnet eine DVD mit zehn – ansonsten deutlich neueren – Kurzfilmen, die den Titel „Back To Politics“ trägt und von Maike Mia Höhne, Leiterin der Berlinale-Kurzfilm-Sektion, kuratiert ist. „Keine politischen Filme machen – Filme politisch machen“, der alte Godard-Slogan steht vorsichtshalber als Untertitel darunter. Auf die Frage, was das heute heißen kann, suchen die Filme durchaus eine Antwort. Aktivistisch im engeren Sinn und eindeutig Partei ergreifend sind sie aber allesamt nicht. Manche stellen die eigene Hilflosigkeit sogar explizit aus, etwa „Die amerikanische Botschaft“, in dem ein sehr versprengtes Grüppchen Anti-Irakkriegs-Protestierer beim Marsch vom Brandenburger Tor zur Amerikanischen Botschaft sich auch noch untereinander verkracht.

Die Frage, was das Ganze soll, steht im Zentrum des Films „Wasserschlacht“, der das alljährliche gleichnamige Event auf der Oberbaumbrücke in Berlin dokumentiert, bei dem sich Kreuzberg und Friedrichshain mit viel Einsatz von Wasser bekämpfen. Es stellen sich angesichts dieser Simulation einer politischen Auseinandersetzung zwischen den zwei offiziell vereinigten Stadtteilen Fragen: Schließlich geht es wohl keinem der Beteiligten darum, die Auseinandersetzung als solche ad absurdum zu führen. Manch einem scheint es mit den alten Kreuzberger Revoluzzersprüchen beinahe ernst. An wen aber richtet sich dieses Pastiche eines Kampfes, wer führt hier was für wen auf? Oder ist das alles einfach nur eine Motto-Party als letztlich unpolitische Aneignung des öffentlichen Raums? Eine eindeutige Antwort hat der Film nicht.

Eine filmische Intervention in den Alltag ist „Trotzdem Danke“. Matthias Wermke ist in Berlin als Scheibenputzer unterwegs. Nur putzt er nicht an Ampeln die Scheiben von Autos unwilliger Bürger, sondern sehr freundlich die Frontscheiben von Bussen, Straßen- und U-Bahnen und sogar eines Polizeiautos und will gar nichts dafür. Auf den ersten Blick ist das kaum mehr als ein „Verstehen Sie Spaß?“-Scherz. Bei genauerem Hinsehen ist die Ratlosigkeit, die Wermke mit seinem gegenforderungsfreien Putzen verursacht, aber sehr interessant. Darf der das, einfach so rumputzen? Hat die Polizei das erlaubt? Und ist das unverschämt oder eigentlich doch eher nett? Mit seiner Logik der Gabe, die nicht nach einer Gegengabe verlangt, durchkreuzt Wermke die Ordnungs- und Tauscherwartungen, die sich in den ratlosen Reaktionen von Lokführern und Busfahrern und, schöne Pointe, die Flucht ergreifendem Polizeiauto umso deutlicher offenbaren.

Der ästhetisch mit Abstand interessanteste Film der Kompilation ist „Eure Kinder werden so wie wir“ des Duos Korpys/Löffler. Beobachtet werden Proteste in Gorleben und Heiligendamm. Aber kaum eines der Bilder fällt ins vertraute Register einer üblichen Protestdokumentation. Die Patrouillen im Dunkeln ahnt man mehr, als man sie sieht. Gegen den Lärm der Hubschrauberrotoren stehen Naturszenen von Schnecken und Feldern. Eine Verfremdung, die aber gerade nicht entpolitisiert. Vielmehr kehrt im schrägen und ungewohnten Blick auf generische Protestpolitik die Frage nach dem, was sich in der Konfrontation von Bürgern und Staat hier ereignet, als Frage der Bildpolitik ohne fertige Antwort zurück.

EKKEHARD KNÖRER