Der Gorilla auf dem Käsebrettchen

Lässig virtuos performt: Der Schauspieler Stefan Kaminski spielt an seinen „On Air“-Abenden im Deutschen Theater Hits der Filmgeschichte nach – und ist dabei gleichzeitig Live-Hörspiel-Raschler, Mini-Drama-Darsteller und Stimmen-Imitator

VON SIMONE KAEMPF

Am Anfang war ein Doppelkassettenrekorder. Gekauft hat ihn sich der 15-jährige Stefan Kaminski direkt nach der Wende, vom ersten per Ferienjob selbst verdienten Geld. Die neue technische Möglichkeit, mit einem Mikrofon Texte einzusprechen über davor aufgenommene Geräusche oder Musik, war für Kaminski eine Offenbarung – und der erste Schritt in eine sehr umfassende Professionalisierung.

Jahre später haben die Kassetten mit den Text-Geräusch-Collagen eines Jugendlichen an Hör-Qualität verloren, aber für Stefan Kaminski, mittlerweile Schauspieler am Deutschen Theater, haben sie eine neue Bedeutung gewonnen: Als das Theater nach Ideen für „Box + Bar“, die neue Spielstätte im Foyer, suchte, erinnerte er sich an sie. Und erfand die Solo-Theater-Reihe „Kaminski On Air“.

Mit Mikrofonen und mit den Requisiten des Geräuschemachers hantiert er dort jetzt so herum, als sei das Theater ein Hörspielstudio. Mit Streichhölzern und Feuerzeugen, raschelndem Papier und rasselnden Ketten produziert Kaminski ein Live-Hörspiel, während er gleichzeitig die Handlung nachspielt. Und zwar gern Filmstoffe mit Tieren; Deren Hauptfiguren kitzeln bei ihm, so sagt er, ganz besonders die „Übersetzungslust“. So zeigte er jüngst den „Weißen Hai“, heute und morgen ist „King Kong“ dran.

Da macht er dann mit Papier Blätterrascheln nach, während er sich mit der anderen Hand die unsichtbare Brille auf der Nase hochschiebt. Und schon steht er vor einem, der ehrgeizige Nachwuchs-Filmemacher, der im Dschungel einen Film über einen Gorilla dreht, der eine Blondine entführt. Im furiosen Finale steigt Kaminski auf den Tisch und turnt herrlich affenartig darauf herum. „King Kong“ ist bei Kaminski eine Performance, die neben Slapstick und Parodie auch noch von etwas anderem lebt: von der durchdachten Sorgfalt, mit der er seine Geräusch-Requisiten auswählt.

Die unscheinbarsten Gegenstände verwandeln sich akustisch und lassen die Fantasie hoch und höher fliegen: Aus einer alten Kaffeemühle und einem Vergrößerungsglas wird in „King Kong“ eine Filmkamera, und tatsächlich – das ruckelnde Quietschen der Kaffeemühlenkurbel lässt einen sofort in die Schwarzweißfilm-Zeiten eintauchen. Dann schabt Kaminski auf einem Käsebrett, aber man hört nur das Quietschen von Holzbohlen. Er tutet in einen Trichter, und ganz klar, ein großer Passagierdampfer legt majestätisch von der Mole ab. Manchmal reicht eben ein einzelnes Geräusch dramaturgisch aus, um ganze Situationen zu skizzieren.

Kaminskis Rollenspiel besticht aber neben allen virtuosen Geräuschrequisite-Wechseln auch durch das schnelle Springen von einer Stimmlage in die andere. In Sekundenbruchteilen ist er vom Sopran beim Bass, vom türkischen beim Berliner Dialekt, vom Film-Mogul beim Urwald-Gorilla. Er selbst nennt das „Morphing“ – und zwischen bis zu elf Rollen und Stimmen hin- und herzumorphen ist kein Problem für ihn. Er tut es mit einer Begeisterung, die zeigt, dass das Spielen für ihn die wahre Freiheit ist. Nicht nur in die Enge einer Person gezwängt zu werden, sondern die Wahl zu haben, nicht auf den Einsatz anderer Mitspieler zu warten, sondern ihn sich permanent selbst zu geben.

Auch wenn der 33-jährige Kaminski gerade nicht auf der Bühne steht, bleibt er ein Schauspieler: Kommt er erst ganz berlinerisch-lässig rüber, flattern dann plötzlich seine Hände in die Luft wie Vögel, und er redet wie ein Stimmenimitator, wenn er anfängt, seine Projekte zu erklären. Mit leuchtenden Augen knurrt er, plötzlich zu seinem Lieblings-Regisseur Dimiter Gotscheff vor Probenbeginn mutiert: „Ich habe die Seele in den Gedärmen.“ Bei Kaminski bekommt auch die Theaterwelt immer noch einen ironisch-liebevollen Blick.

In den nächsten Monaten will er viel Zeit in die Entwicklung seiner neuen „On Air“-Produktion stecken: Im Herbst sollen die ersten beiden Teile des „Ring des Nibelungen“ in der Box herauskommen. Weil er mit seinem eigenen Programm auch verstärkt auf Tournee gehen will, hat er seinen festen Vertrag mit dem Deutschen Theater in einen Gast-Vertrag umgewandelt.

So ist die On-Air-Erfolgsstory bereits jetzt eine Stationenlegende: Über seine selbst gebastelten Kassetten kam er zum Hörfunk. Im Hörfunkstudio lernte er mit Dieter Mann und Christian Grashof gestandene Schauspieler kennen und beschloss, selbst einer zu werden. Jetzt nutzt er die Schauspielkunst, um das Hörspielgenre zu bereichern. Zuerst erschien es ihm wie Ironie, dass ausgerechnet die „On Air“-Abende am Theater dermaßen zündeten. Aber mittlerweile freut er sich diebisch darüber.

„King Kong“ heute 20.30 Uhr, morgen 19 Uhr, Deutsches Theater, Box + Bar