Menschen beeinflussen das Klima

NACHRUF Serge Moscovici, der maßgebliche französische Theoretiker der Ökologie, ist 89-jährig gestorben

Seine Bücher gehörten zur Standardlektüre bei den Gründern der französischen Ökologiebewegung

In Frankreich wird der Anthropologe und Sozialpsychologe Serge Moscovici als maßgeblicher Theoretiker der politischen Ökologie anerkannt. Lange bevor hierzulande sozialwissenschaftlich über Ökologie debattiert wurde, erschien sein Standardwerk „Versuch über die menschliche Geschichte der Natur“ (1968 auf Französisch, erst 1982 auf Deutsch). Zu diesem Zeitpunkt dauerte es noch vier Jahre bis zum Erscheinen des ersten wissenschaftlich ernst zu nehmenden Bestsellers zur politischen Ökologie – Ulrich Becks „Risikogesellschaft“.

Moscovici konzipierte die politische Ökologie historisch. Er ging davon aus, dass die Sozialwissenschaften im 18. Jahrhundert das Problem des Staates, im 19. jenes der Gesellschaft und im 20. jenes der „Natur auf die Tagesordnung“ setzten. „Natur“ war bis dahin in der Sozialwissenschaft ein verpönter Begriff. Wer ihn gebrauchte, setzte sich automatisch dem Verdacht des Biologismus oder Naturalismus aus. Moscovici erkannte, dass Menschen „in der Lage sind, das Klima zu beeinflussen und den Kreislauf der Energieumwandlungen zu verändern“.

Gleichzeitig widmete er sich aber in vielen Büchern und Aufsätzen den „tiefgreifenden Mutationen“, mit denen es „die menschliche Gattung“ zu tun bekam. Sein besonderes Interesse galt gesellschaftlichen, ethnischen und religiösen Minoritäten, mit denen er sich immer wieder beschäftigte und die er als „Schlüsselfaktor des sozialen Wandels“ identifizierte. Seine Bücher gehörten zur Standardlektüre bei den Gründern der französischen Ökologiebewegung von Brice Lalonde über Antoine Waechter bis zur Pierre Fournier, der 1973 die Zeitschrift La Gueule ouverte (Auflage 70.000 Exemplare) gründete.

Der 1925 als Sohn jüdischer Eltern geborene Moscovici überlebte die Pogrome in Rumänien und die Diktatur des mit Hitler-Deutschland verbündeten „Führers“ (Conducător) Ion Antonescu. Bereits als Vierzehnjähriger wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Rumäniens und blieb es bis nach Kriegsende. 1947 verließ er das Land Richtung Italien und Frankreich, wo er 1961 das Studium der Psychologie abschloss. Danach unterrichtete er in der New Yorker New School of Social Research sowie an der École des Hautes Étude en Sciences Sociales in Paris. 1975 gründete er die Maison des sciences de l’homme und nahm Gastprofessuren in der Schweiz, Belgien und anderswo an. Am 15. November ist Serge Mocovici, dessen Sohn Pierre eben EU-Wirtschaftskommissar geworden ist, im Alter von 89 Jahren in Paris gestorben. RUDOLF WALTHER