SUSANNE KNAUL ZU DEN ANSCHLÄGEN IN JERUSALEM
: Der IS in Israel

Israel nährt das Prinzip von zweierlei Maß. Die Frustration der Palästinenser wird wachsen

Die beiden palästinensischen Terroristen hatten eine Botschaft. Ihr Ziel bei dem gestrigen Anschlag in Jerusalem, bei dem, Stand Mittwoch, fünf Menschen getötet wurden, war nicht willkürlich, wie bei einem Autofahrer, der sein mit einer Bombe bestücktes Fahrzeug in eine wartende Menschengruppe lenkt oder einem Sprengstoffattentäter, der sich samt Bombengürtel in einem Restaurant niederlässt. Hier war der Ort des Grauens eine Synagoge in einem ultraorthodoxen Wohnviertel. Die beiden Angreifer, Palästinenser aus dem Osten Jerusalems, kamen mit Schusswaffen, und doch metzelten sie ihre Opfer mit Messern und einer Axt regelrecht dahin.

Die zuerst im Internet veröffentlichten Bilder der toten Körper, der Blutlachen und einer blutverschmierten Axt lassen Assoziationen aufkommen an den islamistischen Terror im Irak und in Syrien. Hier soll Angst verbreitet werden unter gläubigen Juden in Israel. Die Methode der beiden jungen Attentäter ist inspiriert vom „Islamischen Staat“ (IS), ihr Motiv ist jedoch ein anderes.

Die palästinensischen Terroristen wussten, dass sie selbst sterben würden. Sie trieb weder die Lust an der Macht über Leben und Tod noch die Sehnsucht nach einem Gottesstaat an.

Die hinter den Anschlägen stehende Verzweiflung der Palästinenser ist das Ergebnis einer einfachen Rechnung: die gescheiterten Friedensverhandlungen und der Gazakrieg im Sommer, addiert mit dem von Israel fortgesetzten Siedlungsbau im Westjordanland und in Ostjerusalem; dazu das soziale Gefälle in der Stadt, in der Araber gleich welcher Nationalität Bürger zweiter Klasse sind, und schließlich der Kampf um den Tempelberg.

Der Ort, an dem Abraham der Überlieferung nach seinen Sohn Isaak zu opfern bereit war und an dem der Prophet Mohammed gen Himmel aufstieg, wie es die heiligen Bücher lehren, verschafft dem politischen Konflikt einen religiösen Katalysator.

Seit Jahrzehnten gilt am Tempelberg ein Status quo, mit dem sich beide Seiten, die israelische wie die palästinensische, ganz gut arrangieren konnten, solange es ruhig blieb, und solange die Regeln eingehalten wurden. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu betonte wiederholt, dass er diesen Status quo nicht antasten will, der den Muslimen Gebetsrechte, Juden und Christen zu vorgeschriebenen Zeiten Besuchsrechte einräumt.

Problematisch ist, dass jüdische Fanatiker gerade jetzt die heiligen Stätten zum Schlachtfeld machen, um ihre ultranationalen Ziele wie die Vertreibung der Muslime und die Errichtung eines dritten jüdischen Tempels voranzutreiben. Das sind – ähnlich wie die Hamas auf der anderen Seite – gefährliche Organisationen, die Hetzer, die verboten werden müssen, will man die Aufregung dauerhaft beruhigen.

Israels Regierung meint jedoch wieder nur die palästinensischen Gruppen, die auf den Index sollen, weil sie zu radikal sind. Netanjahu will mit Härte reagieren, die Häuser der Attentäter zerstören (was in der Nacht zu Mittwoch bereits umgesetzt wurde: der vierte Stock eines Hauses im Stadtteil Silwan wurde von israelischen Einsatzkräften komplett zerstört; eine Vergeltungsmaßnahme, die nicht zuletzt an sizilianische Gepflogenheiten der Mafia erinnert), Straßensperren errichten und Palästinensern als Strafmaßnahme ihr Aufenthaltsrecht entziehen.

Damit nährt der Staat das Prinzip von zweierlei Maß, und die Frustration der Palästinenser wird noch wachsen. Israel könnte zumindest auf politischer Ebene damit umgehen, denn so zermürbend, so gewalttätig und verabscheuenswert die Einzelattacken auch sind, so stellen sie doch keine existenzielle Bedrohung für den Staat Israel als solchen dar.

Die Gewalt auf Dauer einzudämmen, wird indes so natürlich nicht funktionieren. Um dem Terror den Boden zu nehmen, müssen Perspektiven geschaffen werden für das palästinensische Volk, das seit fast 50 Jahren unter der Besatzung lebt. Ohne politische Lösungen wird die Gewalt immer grausamere Formen annehmen und immer größere Flächen abdecken. Beim Kampf gegen die Juden lassen sich fanatische Verbündete auch jenseits der Grenzen rasch rekrutieren, wenn es um die Rettung des Tempelbergs geht.

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