Mehr Wahres bei Lebensmitteln

VERBRAUCHERSCHUTZ Ein neues Internetportal klärt über täuschende Aufmachung von Nahrungsmitteln auf. Ministerin Aigner sieht schon vor dem Start erste Erfolge

„Es ist hilfreich zu sehen, wo Verbrauchern der Schuh drückt“

MINISTERIN ILSE AIGNER (CSU)

AUS BERLIN WOLFGANG MULKE

Hähnchenbrustfilet, das sich als Klebefleisch entpuppt, oder Kalbswiener fast nur aus Schweinefleisch – mit Namen oder Aufmachung führt die Lebensmittelindustrie ihre Kunden immer wieder hinters Licht. Derlei Täuschungen will das lange umstrittene Internetportal „Klarheit und Wahrheit“ von nun an öffentlich nennen. Zum Start wurden 22 Beschwerden über Nahrungsmittel auf die Webseite mit der Adresse www.lebensmittelklarheit.de gestellt, die allerdings unmittelbar danach erst einmal zusammenbrach.

Auf der Webseite können sich Verbraucher über irreführend aufgemachte Lebensmittel beschweren. Fachleute der hessischen Verbraucherzentrale prüfen die Vorwürfe und holen dazu eine Stellungnahme des Herstellers ein. Bleibt es beim Eindruck, dass Kunden getäuscht wurden, werden sowohl der Markenname als auch der Produzent öffentlich genannt. Von dem Webportal erhoffen sich die Beteiligten Druck auf die Hersteller. „Es ist hilfreich zu sehen, wo den Verbrauchern der Schuh drückt“, sagt Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU), die aus der Internetdebatte auch Rückschlüsse für Gesetzesänderungen ziehen will.

Die Industrie hat sich bis zuletzt gegen die Veröffentlichung gewehrt und sieht sich an den Pranger gestellt. Auch halten die Hersteller das Portal für rechtswidrig. „Ich lade jeden ein, gegen uns zu klagen“, weist der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Gerd Billen, die Vorwürfe zurück. Aigner und Billen sehen sich durch die Konstruktion der Initiative auch auf der rechtlich sicheren Seite. Die Bundesregierung hat zwar den Anstoß dazu gegeben, doch fördert sie nur eine Aktion der Verbraucherzentralen, die damit inhaltlich verantwortlich sind.

An Beispielen für die Verkaufstricks der Nahrungsmittelindustrie mangelt es schon zu Beginn nicht. Kaffeeröster Onko landete zum Beispiel auf dem Portal, weil er klammheimlich aus seinem hundertprozentigem Kaffee mit dem Label „klassisch“ eine mit Ersatzstoffen versetzte Melange kreiert hat, was dem Kunden nur bei genauer Betrachtung der Packungsaufschrift auffällt. Über die Firma Iglo beschwerten sich Kunden, weil es sich bei den appetitlich abgebildeten Hähnchenbrüsten beim „Country Cicken mit Honig-Senf-Marinade“ nicht um zusammenhängende Filets handelt, sondern um geklebte Fleischstücke. Die Firma hat auf den Täuschungsvorwurf schon reagiert. Das Produkt werde aus dem Programm genommen, kündigten die Hamburger an. Auch Onko ist zum „echten“ Kaffee zurückgekehrt. Die Reaktionen wertet Aigner als erste Erfolge des Portals.

Die Verbraucherschützer nehmen neben einzelnen Produkten auch gängige, aber irreführende Produktbezeichnungen aufs Korn. In diesen Fällen werden die Waren ohne Herstellerzuordnung ins Netz gestellt. Ein Beispiel ist der Schwarzwälder Schinken, der den Eindruck eines regionalen Produkts erweckt. „Nicht ein Schwein hat den Schwarzwald gesehen“, stellt Billen fest. Die Bezeichnung bezieht sich eben nicht auf die Herkunft der Rohware, sondern auf das Herstellungsverfahren für den Schinken.

Ministerin Aigner räumt ein, dass es hier rechtliche Grauzonen gibt. Eine gesetzliche Klarstellung des Erlaubten, wie es ihre Kritiker fordern, ist jedoch mitunter schwierig. Darf zum Beispiel in Kalbswienern nur Kalbfleisch sein? Ähnlich schwierig ist die Abgrenzung bei der Zutat Hefeextrakt. Einerseits verdeckt die Industrie die Verwendung eines Geschmacksverstärkers, andererseits ist die Hefe ein in vielen Rezepten üblicher Bestandteil.