So sieht der Linksruck aus
Jost Beilken

Der 28. Juni 2007 ist schon jetzt ein historisches Datum: Die Bremische Bürgerschaft konstituiert sich – und die Linke gehört in Fraktionsstärke dazu. Sie sitzt damit erstmals in einem westdeutschen Landtag. Aber wer sind ihre sieben Abgeordneten? Revoluzzer? Freie Radikale? Eine Chaostruppe, wie die Süddeutsche kurz vorm Wahltag aus der Ferne diagnostiziert hatte? taz nord stellt fest: Das trifft es nicht ganz

Ursprünglich kommt Jost Beilken aus Bremerhaven, wo er 1955 geboren ist. Das erste, was Jost Beilken beim Treffen tut, ist, zu erzählen, was sein Vater erlebt hat, der Architekt war und Baufinanzierungen gemacht hat, und zwar mit einem rheinischen na, irgendso etwas wie ein Bankier, der eben immer gesagt hat, bei wichtigen Gesprächen müsse man „Bauch an Bauch“ sitzen, oder „zusammen zu Stuhle kommen“, ja das habe er immer gesagt. Über seinen Onkel väterlicherseits gibt Beilken auch Auskunft, aber sorry für die Ungenauigkeit, dessen Vorname findet sich in seinen Aufzeichnungen nicht. Momentan treibt Beilken die noch nicht abgestimmte Haltung der Fraktion zum Kirchentag um, der 2009 in Bremen stattfinden soll, und den er, obschon mit 17 Jahren, während der Lehre als Maschinenschlosser, aus der Kirche ausgetreten, für eher eine gute Sache hält. Beilken, früher in etlichen Initiativen engagiert, aber nie Parteimitglied, ist schon 2002 zur WASG gegangen, seither immer für die Vereinigung mit der Linkspartei gewesen, und studiert hat er Pädagogik. Beruflich tätig zuerst in der Erwachsenenbildung, derzeit an Grundschulen im Bremer Umland, wird er, der „viele Freunde in der freien Musikszene“ hat, Klammer auf, was wiederum die Haltung zum Kirchentag beinflussen dürfte, der wiederum seine Büros im alten Postamt hat, wo bis dahin Proberäume für etliche Bremer MusikerInnen waren, die jetzt ausziehen müssen, Klammer zu – Jost Beilken wird kulturpolitischer Sprecher der Linksfraktion. Und sein Platz ist ganz hinten rechts. BES

Peter Erlanson

Peter Erlanson? Muss man eigentlich nicht vorstellen. Der sieht doch schon so aus. Die vom Spiegel haben es schließlich auch so gemacht: Ihm aufm Bundesparteitag kurz die Hand geschüttelt, festgestellt, dass er einen zotteligen Bart hat und dann war er auch noch Krankenpfleger und hat, 1959 in Frankfurt geboren, Kontakt zur Sponti-Szene gehabt. Lohnt so jemand die Telefonkosten? Also stand in Deutschlands größtem Nachrichtenmagazin am 7. April, Erlanson werbe „für ‚Sex‘, ‚Grillwürste‘ und eine ‚sozial gerechte Steuererklärung‘“, was Menschen mit Zottelbärten eben so tun, die noch dazu Krankenpfleger und Psychologen sind. In Bremen waren solche Aktivitäten nicht feststellbar. Er habe sich „auch darüber gewundert“, hat Erlanson damals gesagt. Er hätte auch schärfer reagieren können, aber das scheint ihm nicht zu liegen: Vielleicht ist der Fraktions-Chef der Linken eher tolerant veranlagt, vielleicht kann er auch damit umgehen, unterschätzt zu werden – was ja, in der Politik, ein Vorteil sein kann. Wer sich allerdings im Bremer Klinikskandal Durchblick verschaffen und einschätzen wollte, in welchen Dreck der Karren genau gesteuert wurde, der war gut beraten, einen direkten Draht zu Betriebsrat Erlanson zu halten – weil er die richtigen Informationen hatte. Erlanson, bei Verdi und bei attac seit Jahren eine der wichtigen Figuren in der Region, gilt als ausgezeichneter Netzwerker und glaubwürdiger Kämpfer gegen Privatisierung. Weil aber die Redekunst dabei nicht seine beste Waffe ist, greift er dafür eher auf sachliche Argumentation zurück. BES

Inga Nitz

Inga Nitz ist 1979 in Berlin-Friedrichshain geboren, Beamtin und Besitzerin von fünf Meerschweinchen. Sie sei „seit fünf Jahren glücklich verheiratet“, informiert der erste Satz zur Person auf der Bremer Homepage von Die Linke. Nein, sagt Nitz, sie habe sich nicht in der Partei vertan. „Glücklich“ stehe da, weil es eben keine Selbstverständlichkeit sei, fünf Jahre lang eine Fern-Ehe am Leben zu erhalten. Und 2002, kurz bevor sie aus Berlin nach Bremen gezogen ist, in die PDS einzutreten – das schildert sie als eine sehr bewusste Entscheidung. Damals war es gerade Mode, die Parteibücher abzugeben – nur zwei Direktmandate im Bundestag, Richtungsstreit im Vorstand, eine Zukunft jenseits der fünf neuen Länder schien es für die PDS nicht zu geben – während sie im Osten stark blieb und straff organisiert. „Ich bin nicht hierhergekommen, um Aufbau West zu machen“, sagt Nitz, die mittlerweile dem erweiterten Bundesvorstand der neuen Linken angehört. In der Fraktion ist sie für die Politikfelder Arbeit und Gesundheit zuständig, da kennt sie sich aus, die zuerst in der Berliner, dann in der Bremer Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales gearbeitet hat. Ein strahlendes Sachbearbeiterinnenlächeln, konkrete Politikvorstellungen: Klar sei man gegen Hartz IV insgesamt, aber lokal müsse man schauen, wie man mit der unzulänglichen Gesetzeslage eine „ordentliche Verteilung vornehmen kann“. Die „Vision von einer gerechteren Gesellschaft“ müsse man weiter verfolgen, aber das ist ein Fernziel. Sich selbst nennt Nitz eine „Pragmatikerin“. BES

Walter Müller

Walter Müller kommt im dunklen Anzug daher, mit einer in leuchtendem Rot gehaltenen Krawatte. Ganz so, wie man sich einen Volksvertreter vorstellt. Noch steht er etwas steif da, mag auch nicht so gerne fotografiert werden. „Ich war schon immer Sozialist“, sagt der 48-Jährige dann, und dass er auch schon mal grün gewählt hat, zu Zeiten allerdings, als die Grünen „friedensschaffenden Maßnahmen“ noch nicht zustimmen mochten. Also trat Müller in die Linkspartei.PDS ein, 2005 war das. In Bremerhaven. Wo er geboren ist. Wo er vor 28 Jahren zum Dreher ausgebildet wurde. Wo er in den Neunzigern seinen Handelsfachwirt gemacht hat, auf der Abendschule, versteht sich. Wo er jetzt an der Hochschule Bremerhaven im siebten Semester BWL studiert. Nein, dem Klischee eines typischen BWlers entspricht er deswegen nicht, aber die Wörter „Marktwirtschaft“ und „leistungsbewusst“ kommen doch selbstverständlich über die Lippen. Auch für Ulrich Nußbaum, den Unternehmer aus Bremerhaven und bisherigen Finanzsenator, der nicht in die SPD eintreten wollte, hat er anerkennde Worte übrig. „Der war gut“, sagt Müller, „der ist sich selbst treu geblieben“. In der neuen Linksfraktion wird Müller für Bremerhaven zuständig sein, ganz klar, ist er doch der einzige Linke, der von dort kommt. Und für die Häfen. Denn Logistik, das ist auch sein Schwerpunkt im Studium, neben Marketing und Informatik. Eigentlich sollten es ja nur zwei Fächer sein. Aber Müller ist „leistungsbewusst“. Und so will er sich auch zuerst „in die Bücher einarbeiten“. Und erst danach Forderungen erheben. MNZ

Klaus R. Rupp

Um es klar und deutlich zu sagen: Er hat den Posten nicht gewollt, ist nicht angetreten und folglich auch nicht gewählt worden – als stellvertretender Fraktions-Chef. Klaus-Rainer Rupp hat finanziell ohnehin schon genug Nachteile von seinem Bürgerschafts-Einzug, mit dem zusätzlichen Posten zum Mandat würde er sein Ingenieur-Büro vernachlässigen, das kann’s nicht sein. Und Rupp, der strategische Kopf und Zahlen-Experte der Fraktion – bei attac Deutschland ist er ehrenamtlicher Finanzreferent – behält, auch ohne Posten, die Zügel in der Hand. Will sagen: Man wird sie ihm in die Hand drücken. Denn eigentlich ist Rupp gar nicht so autokratisch, wie man das aus seinem politischen Lebenslauf herauslesen könnte: 1992 hat das ehemalige SPD-Mitglied die Bremer PDS gegründet. Dreimal war er ihr Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl, erfolglos, und Vorsitzender des Landesverbandes war er eigentlich immer. Aber auch da hat er nicht am Posten geklebt. Mehrfach hat er ihn zur Verfügung gestellt, meist nach den Landtagswahlkämpfen, und mitunter war dann kurz jemand anderes vorne. Aber der ist dann entweder schnell weggezogen oder hat es sich mit der schmalen Basis verdorben. Und dann war wieder Rupp die Bremer PDS. „Wir müssen durch unsere Inhalte wirken“, sagt er und weiß: Sozialticket, Mindestlohnkampagne – solche Forderungen kann die – nach zwölf Jahren neoliberaler Abdrift – um ihr menschliches Antlitz bemühte SPD nicht ignorieren. Hinzu kommt: Rupp ist reaktionsschnell wie wenige in Bremen. Kaum ist eine Nachricht im Äther, hat er sie bereits kommentiert – und die entsprechende Mehrheit fürs Statement organisiert er sich auch. Zurückrudern? Braucht er nicht. Weil er den Sachverhalt auch per Schnellschuss auf den Punkt trifft. BES

Sirvan Çakici

Etwas säuerlich konstatierte die FAZ nach der Bürgerschaftswahl, die Linke habe ihre über acht Prozent mit „Kandidaten errungen“, die „außerhalb von Bremen kein Mensch kennt“. Selten ist ein Hieb so daneben gegangen. Denn einerseits sind Bremer Politiker jenseits von Huckelriede grundsätzlich unbekannt. Und andererseits: Ausgerechnet bei der Linken gibt es eine Ausnahme. Sirvan Çakici ist, als Tochter kurdischer Einwanderer, 1980 in Troisdorf geboren. Und sie hat der Bürgerschaftswahl ein überwältigendes Echo beschert – in der Türkei: Interviews in allen TV-Kanälen, ganzseitige Zeitungs-Berichte mit großen Fotos von ihr. Ein bisschen ist sie schon genervt, weil zum Beispiel der Kollege vom Hürryiet zwar schreibt, dass sie 1980 in Troisdorf bei Köln geboren ist, aber nicht, dass ihre Eltern Kurden sind. Und dass er, beim Bericht über den Vereinigungs-Parteitag von Ex-PDS und WASG gerade sie herausgreift, obwohl sie, 2007 in die Linkspartei eingetreten, da noch keine Rolle gespielt hat. „Ich weiß, der wollte mir was Gutes tun“, sagt sie und übersetzt etwas widerwillig den Text: Blabla, mit ihrer natürlichen Schönheit blabla, Herzen im Sturm erobert. Kapiert. Chaotin? Das lässt sie locker an sich abperlen. „Sehe ich etwa so aus?“ Çakici hat bei einer Krankenkasse gearbeitet, als Wirtschaftsassistentin, hat Mi–grantInnen betreut, auch bei Behördengängen – jemand, der fremdländisch wirkt, wird schnell zum Kunden zweiter Klasse. „Da gehen dann plötzlich Anträge verloren“, sie hat den Job gekündigt, direkte Erfahrung mit der Arbeitsagentur gemacht, „das hat mir zu denken gegeben.“ Ausländer, Jugend und Sport als Politikfelder, außerdem Vorstandsmitglied der Bürgerschaft, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und nebenbei Studienvorbereitung – sie hat sich viel vorgenommen. BES

Monique Troedel

Die Linke will ja nicht als Partei der alten Männer gelten. Und hat also Monique Trödel, 61, zur Spitzenkandidatin ausgerufen: Sie war auf Listenplatz drei die erste Frau. Dabei hatte sie gar kein Parteibuch. Weder das der WASG – die sie aufgestellt hat – noch irgendein anderes. Und legt bis heute genau darauf auch sehr viel Wert. „Parteilos, aber parteilich“ ist stets das Erste, was Monique Trödel über sich selbst sagt. Denn sie ist zuvörderst Gewerkschafterin, seit 1971 schon, und als solche, findet sie, kann sie keiner Partei angehören. „Gewerkschaftliche Forderungen haben oftmals keinen Widerhall in den Parteien gefunden.“ Verdi-Bundesvorstand, Bundestarifkommission, stellvertretende Landesbezirksvorsitzende, Bezirksvorstand – die Liste ihrer Funktionen in der Gewerkschaft ist lang. Zwei davon hat sie noch immer inne, auch wenn sie nach mittlerweile 36 Jahren als kaufmännische Angestellte beim Weser Kurier nunmehr im Vorruhestand ist. Im Oktober diesen Jahres laufen die beiden Mandate aus, und dann, sagt sie, „kann ich mir sehr wohl vorstellen“, Parteimitglied zu werden. Solange aber ist Monique Trödel schon mal stellvertretende Fraktionschefin – und will damit ein Zeichen setzen, für die Frauen, dafür, dass „hier Gleichberechtigung gelebt“ werde. Und Trödel war es auch, die sich dafür eingesetzt hat, dass die Linke mit dem Sozialwissenschaftler Manfred Steglich und dem Historiker Christoph Spehrzwei gleichberechtigte Fraktionsgeschäftsführer bekommt, auf je einer halben Stelle. Schließlich war sie immer für Arbeitszeitverkürzung, und hat das bei Verdi auch „durch alle Gremien geschickt“. Da wäre es doch „hochnotpeinlich“, findet sie, wenn jetzt aus einem ordentlich dotierten Posten nicht gleich zwei Stellen geschaffen würden. Und so ist gleich auch nochmal ein weiteres Zeichen gesetzt. mnz