LESERINNENBRIEFE
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„Erkenne dich selbst“

■ betr. „Wir brauchen eine Revolution in den Köpfen“, taz v. 18. 7. 11

Anlässlich des veröffentlichten Interviews mit Nikos Veliotis über den gegenwärtigen Zustand der griechischen Gesellschaft würde ich gerne eine etwas andere Sicht der Dinge darlegen als jene, die in den letzten zwei Jahren ständig durch die Weltpresse geistert. Dabei möchte ich niemanden persönlich angreifen oder rügen, aber ich habe schlichtweg die Nase voll von polarisierenden Darstellungen, von romantischen Ideen der bürgerlichen Aufklärung und der ständigen Suche nach irgendwelchen Sündenböcken.

Eine differenzierte Betrachtung der Lage offenbart, dass es Faktoren gibt, die exogen durch die Wirtschaftspolitik der EU und einer globalisierten Weltwirtschaft auf Griechenland einwirken. Auf der anderen Seite stehen aber die endogenen Probleme Griechenlands. Zweifellos gibt es eine Wechselwirkung zwischen beiden Faktoren, ihre Wurzeln liegen aber immer klar abgrenzbar entweder auf der einen oder der anderen Seite. Es würde unglaubwürdig klingen, wenn ich als Grieche nun anfangen würde gegen den Turbokapitalismus, die verfehlte Wirtschaftspolitik führender Wirtschaftsnationen oder die organisierte Kriminalität pseudostaatlicher Privatbanken zu wettern. Deshalb beschränke ich mich auf die endogenen Faktoren, für die Griechenland selbst verantwortlich ist.

Im besagten Interview wurde die gegenwärtige Bürgerbewegung auf dem Syntagma-Platz erwähnt, die ihren Unmut über die verfehlte Politik der letzten Jahre zur Schau trägt. Der heroische Widerstand eines ausgebeuteten Volkes wird natürlich auch medienwirksam im Ausland vermarktet und lässt den Eindruck einer erwachten bürgerlichen Mitte entstehen, die nun beschlossen hat, das Zepter in die Hand zu nehmen und endlich der dunklen Macht der Korruption, Steuerhinterziehung und Vetternwirtschaft Einhalt zu gebieten. Fragt sich nur, wo dieses aufgebrachte Volk war, als die Wurzeln des Problems schon vor Jahrzehnten aus dem Boden quollen und für alle sichtbar offen dar lagen? Die Anlässe, zu denen die griechische Mitte der braven Bürger auf die Straße hätte gehen sollen, sind unzählig. Als das oberste Verwaltungsgericht Griechenlands unter die Fuchtel der Politik gestellt wurde oder die Verjährungsfristen, innerhalb derer man noch Minister für ihre Verbrechen zur Verantwortung ziehen konnte, drastisch verkürzt wurden, stand jedenfalls niemand auf den Barrikaden. Ebenso wenig hat es die friedliebenden Bürger gejuckt, als der Ägäis-Minister a. D. Pavlidis im Mai 2009 wegen nachgewiesener Bestechung nicht seine Immunität verlor und auch noch die Frechheit besaß, in seiner Apologie vor dem Parlament nach Gerechtigkeit zu verlangen. Von den offenkundigen Kartellen, den mafiösen Strukturen des Polizeiapparates und den Frappé trinkenden Freizeitbeamten will ich erst gar nicht reden. Jetzt wo es an die Tasche des Bürgers geht und alle die Rechnung für ihren Dornröschenschlaf zahlen müssen, erinnert sich auf einmal der betrogene Wähler an die Werte der Gesellschaft, die er selbst mit Füßen getreten hat, als er das Marionettentheater gewählt hat, das er heute wild gestikulierend zum Teufel wünscht. Mehr Heuchelei geht nicht.

Einer der letzten großen Denker Griechenlands, Kornelius Kastoriadis, hat in einem Interview im Jahre 1991 die negative Veränderung der griechischen Gesellschaft beklagt und ein düsteres Bild für die Zukunft des Landes gezeichnet: „Wenn die Dinge weiterhin so bestehen bleiben und das Volk sich nicht widersetzt und die Politiker nur zum Schein Politiker sind, werden die Dinge sich verschlechtern und Griechenland wird zu einem Touristenhotel. Die wichtigen Dinge werden in die Hände ausländischer Unternehmen fallen, die Griechen werden Hotelmanager und Kellner, Kabaretttänzer usw.“

Leider haben die Griechen die Angewohnheit, ihre großen Denker entweder ins Exil zu schicken oder ihnen einen Schierlingsbecher zu reichen. Zum Glück ist Kastoriadis bei Zeiten nach Frankreich ausgewandert und hat dort mit seinen Ideen die 68er-Bewegung inspiriert, die zumindest in Ansätzen versucht hat, eine neue Gesellschaft zu formen, während zur gleichen Zeit Griechenland in die Barbarei der Militärjunta verfiel. Damals wie heute haben die Menschen gewusst, wohin das alles führen wird, widersetzt haben sich, solange es noch Zeit dafür war, nur ganz wenige. Was wir heute in Griechenland erleben, ist nichts weiter als die Fortführung eines antiken Dramas; dabei wäre es so einfach, den Hals aus der Schlinge zu ziehen und vom Opfer zu einem mündigen „Zoon Politikon“ zu mutieren. „Erkenne dich selbst“ stand einst über dem Eingang von Delphi, aber wer zeigt schon gerne mit dem Finger auf sich selbst. Lieber entmündigt man sich selbst und schiebt die Verantwortung auf die anderen. So machen es die Griechen und die Deutschen. Heerscharen von Bild-Zeitungslesern zeigen mit den Fingern auf die anderen und merken nicht, dass sie mit offenem Hosenstall herumlaufen. Anstatt sich Gedanken über eine tiefgreifende Reform der Finanzmärkte, das Verbot von spekulativen Finanzinstrumenten und die Motivation einer bröckelnden Wertegemeinschaft zu machen, lässt man sich von Hokuspokus-Magazinen mit dem Gestank der anderen versorgen, damit der eigene Mief nicht so sehr in die Nase dringt.

Nun werde ich auch mit dem Finger auf mich zeigen und all die Kritik auch an mir anwenden. SERAFIM KARAVASILIOU, Leimen

Spaß verdorben

■ betr.: „Medienmonster lässt die Hosen runter“, taz vom 20. 7. 11

Zu viel Schaum, zu wenig Bier – was für ein alter Trick auf der taz-Schlagzeile! Naiv-lüstern schlurfe ich mit niedrigsten Instinkten behaftet zum Kiosk, um taz samt vermeintlicher Nacktscanner-Brille zu erwerben – und stelle fest, dass die angekündigte Beilage offenbar nur ein blöder Scherz der Redaktion war. Sah mich schon schallend lachend ob der kleinen Pillermänner meiner Vorgesetzten oder den Unwuchten arroganter Vorzimmerdamen durch die Büroflure (lust- bzw. unlust-)wandeln. Den Spaß habt Ihr mir gründlich verdorben. Ich les euch trotzdem! THOMAS S. KREBS, Berlin