Nachfolger Jesu auf Werbetour

„Fräulein, gibt es eine Formel, um dem Teufel zu entkommen?“

AUS KÖLN ARNO KLEINEBECKEL

Rauchen ist tabu, man trägt Sonntagsstaat. Zu tausenden sitzen sie auf unbequemen Rängen, etliche lassen sich willig in eigens aufgebauten Becken untertauchen, schließlich geht die Welt ihrem Untergang entgegen. Die Zeugen Jehovas, früher auch als „Ernste Bibelforscher“ bekannt, halten in diesen Wochen in deutschen Stadien wieder ihre Bibelkongresse ab. Das sind für manche Beobachter Traditionstreffen für Sonderlinge und Eingeweihte, für andere trotzige Demonstrationen eines bibeltreuen Glaubens in einer als bedrohlich eingestuften „Endzeit“. 200.000 werden bundesweit erwartet, in Köln rechnet man für dieses Wochenende mit 16.000 Teilnehmern und Gästen.

„Fräulein, gibt es eine Formel, um dem Teufel zu entkommen?“ Der Mann meint es ernst. Die junge Frau am Infostand am Kölner Neumarkt reagiert professionell: „Die Formel steht in der Bibel.“ Sie hat die Bibel selbstverständlich zur Hand, schlägt das weinrot eingebundene Buch der Bücher auf und ergänzt ganz routiniert. „Hier, Jakobus 4, Vers 7.“ Der Passant blickt verdutzt auf. Die Frau erklärt ihm geduldig den Text.

Ein Plakat am Stand wirbt für das Kongressmotto: „Folge dem Christus nach!“ Zwei Frauen steuern auf die Passanten zu, bieten Traktate an, versuchen ein kurzes Gespräch. Eine ältere Frau bleibt stehen, fragt, ob die beiden von Opus Dei sind. „Nein“, sagt eine der beiden und lacht. „Wir sind Zeugen Jehovas.“ Damit kann die Passantin aber nichts anfangen. „Zeugen Jehovas?“ Die Einladung nimmt sie trotzdem, einen farbig bedruckten Zettel, auf dem ein gut aussehender Mann den Betrachter mit freundlicher Geste einlädt, wie zu einem guten Essen. Der Mann stellt wohl Jesus dar, aber er sieht anders aus als der katholische. Dieser hier wirkt sehr lebendig, er ist dunkel, jung und attraktiv.

Bei einem Kölner Muslim verfängt die Strategie nicht. Der Mann lässt sich zwar ansprechen, bestreitet aber vehement die Bedeutung von Jesus. Die zweite Frau am Stand gibt sich alle Mühe. Nein, sagt der Passant, er habe einen direkten Draht zu Allah, brauche keinen Jesus. Zur Überraschung der Zeuginnen fragt er dann noch: „War Jesus ein guter Angler?“ Während mehrere Passanten geschäftig vorüber eilen, die angebotene Einladung mürrisch ablehnen, tippt eine Frau einer der Zeuginnen von hinten auf die Schulter und sagt: „Ich möchte aber so ein Blatt haben.“ Das „Blatt“ ist ein Traktat. So lautet der Ausdruck für ein aus der Mode gekommenes Informationsmedium. Aber es ist mehr als das, es enthält eine Botschaft, reizt zur Stellungnahme. „Ehemänner, Ehefrauen, Eltern, Kinder – folgt dem Vorbild!“ heißt es da. Mit einem Kupon am unteren Ende des „Blattes“ kann man ein Buch bestellen. „Was lehrt die Bibel wirklich?“ ist der Titel, im Zusatz steht: „Ohne irgendeine Verpflichtung“. Ankreuzen kann auch, wer zu Hause besucht werden will, ein kostenloses Bibelstudium wird angeboten.

Einige haben so ein Traktat entgegen genommen und anschließend sogar ihre Adresse hinterlassen. Das bedeutet Hausbesuch und eine Versorgung mit weiterer Lektüre. Ein Angestellter der Sparkasse, die gleich nebenan residiert, weiß, dass Zeugen Jehovas an den Haustüren klingeln, aber was machen die hier am Neumarkt direkt vor seiner Geschäftsstelle? Und ob der Gründer ein gewisser Schmitz sei? Eine der Frauen erzählt ihm etwas aus der Geschichte der „Bibelforscher“ und über Pastor Russell und Richter Rutherford. Manches ist dem Frager neu, seine anfängliche Skepsis weicht einem wohlwollenden „Aha!“

Die Sparkasse legt aus Rücksicht auf ihre Kunden Wert auf einen Mindestabstand, will die Bibelleute trotz schlechten Wetters nicht unter die Überdachung lassen. Ein Mann vom Ordnungsamt war auch schon da, hat sich die Genehmigung zeigen lassen. Als ein Polizist kritische Fragen stellte, bezog der Kontrolleur ganz unerwartet Stellung: „Die Leute sind aber auch wirklich gefährlich und unsympathisch, finden Sie nicht auch?“

Mike Lorsbach vom eigens eingerichteten Kongress-Pressebüro der Zeugen nennt die Arbeit am Stand in der Kölner City „ein Novum“. Man sammelt Erfahrungen. Aber eigentlich wurden auch in früheren Zeiten die Kongresse als religiöse Events der Zeugen aktiv beworben, so auch in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals war man froh, dass Verfolgung und Naziterror vorüber waren. Heute sind Jehovas Zeugen in Deutschland selbstbewusst öffentlich präsent, eine Unterrichtung der Presse gehört zur Offensive, auch die Anerkennung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ von 2006 gibt Rückenwind.

In NRW fand ein erstes dreitägiges Glaubenstreffen gerade in Dortmund statt, ab heute ist Köln der Austragungsort. 16.000 Gläubige und „Freunde der Wahrheit“ werden dann im blitzblank geputzten RheinEnergie Stadion erwartet. Sie dürfen sich rühmen, sich auch im Massentrubel vorbildlich zu bewegen, sie streuen kein Papier und keinen Müll umher, die „Parteitage des Glaubens“, so eine Illustrierte in der Nachkriegszeit, laufen geräuscharm und dennoch höchst effizient ab.

Während der NS-Zeit brutal verfolgt, blühten auch die Kölner Gemeinden in der Nachkriegsära auf. Heute gibt es in Köln neben 12 deutschsprachigen Gemeinden mit rund 1.200 „verkündenden“ Zeugen auch noch fremdsprachige „Versammlungen“ und Gruppen mit weiteren 1.700 Gläubigen, darunter Chinesen, Perser und Araber. In Europa beläuft sich die Zahl auf rund 1,5 Millionen Zugehörige.

„Ich bin für euch! Wir gemeinsam gegen den Islam.“ Auch das passiert. Judith, die Jüngste am Stand, klärt den jungen Mann auf, dass Zeugen Jehovas nicht gegen jemanden sind, sondern für Jesus Christus. Trotzdem will der Eiferer am Wochenende zum Kongress ins RheinEnergie Stadion kommen. „Hoffentlich nicht mit Megafon“, raunt die Glaubensschwester der Kollegin zu.

Ein Radfahrer, dem die Einladung zum Kölner Kongress angeboten wird, sagt: „Die hatte ich schon im Briefkasten. Ihre Leute haben mich im Visier.“ Er stellt sein Rad ab und beklagt, man könne es heute nicht mal mehr fünf Minuten unbeaufsichtigt lassen. Daran sei zu erkennen, dass die Welt immer schlimmer wird. Das können die Zeuginnen nur bestätigen, da hat sich ihre Arbeit für das Königreich schon gelohnt.

Einige der auf Kölns Flaniermeile Angesprochenen hatten wohl jene „grauen Mäuse“ erwartet, eine weltfremde und humorlose Gattung Mensch, die man gern mit dem Begriff „Bibelforscher“ in Verbindung bringt. Ein Relikt der Verfemung während des „Dritten Reichs“? Bilder aus der Nachkriegsepoche zeigen eher ein reisefreudiges, bunt gemischtes Völkchen, das etwas linkisch in die Kameras lacht, aber nicht dogmatisch wirkt. „Alle sind freundlich zueinander, nennen sich Brüder und Schwestern“, meldete eine Boulevardzeitung in den Fünfzigern.

Damals war auch NRW Schauplatz beachtlicher Bibelkongresse der Zeugen, die zu zigtausenden die Stadien füllten. In Köln fand 1954 ein solches Treffen auf dem Messegelände statt, das Motto des Leitvortrags damals: „Gottes Liebe – die einzige Rettung in der Krise des Menschen“. Für die Ansprache wurde mit einfachsten Einladungszetteln geworben. Einige der älteren Werbeblätter der Gemeinschaft gaben sich dabei betont aufklärerisch: „Wollen Sie als selbstständig denkender Mensch nicht länger andere für sich urteilen lassen, sondern sich von unwürdiger geistiger Bevormundung befreien?“, hieß es da kurz nach der NS-Zeit in Anspielung auf den rasch wieder zunehmenden Einfluss der großen Kirchen.

Seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat die Zahl der bekennenden Bibelforscher/Zeugen Jehovas beträchtlich zugenommen, von knapp 25.000 im Jahre 1933 auf rund 210.000 in Deutschland (2007 weltweit: 6,6 Millionen). Handelt es sich nun um harmlose religiöse Scharlatane oder um halbwegs ernstzunehmende Glaubensalternative?

Das Thema des Schlussvortrags, für den in Köln überzeugte Glaubensbrüder und -schwestern in diesen Tagen mit Gesprächen und Traktaten werben, ist betont offensiv formuliert: „Wer sind die wahren Nachfolger Christi?“ Vom Parteitag des Königreiches in der Katholikenhochburg erhoffen sich Jehovas Zeugen nach der inszenierten Harmonie des Evangelischen Kirchentags 2007 und des „Benedetto“-Festivals vom Vorjahr die Antwort – die einzig richtige.