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Archiv-Artikel

Das vergiftete Paradies

SPRENGSTOFF Auf Sardinien testen Militär und Rüstungsfirmen Waffen. Anwohner sterben an Krebs, Kinder werden ohne Finger geboren. Jetzt ermittelt ein Staatsanwalt wegen Mord

Salto di Quirra und das Gift

■  Die Insel: Sardinien ist nach Sizilien die zweitgrößte Mittelmeerinsel. Seit 1948 hat sie in Italien den Status einer autonomen Region. Die Hauptstadt ist Cagliari. 1,7 Millionen Menschen leben auf der Insel. Sie ist die reichste Region des italienischen Südens – oder die ärmste des Nordens.

■  Das Militär: Von den 16 militärischen Sperrgebieten auf Sardinien ist das „Poligono Sperimentale e di Addestramento Interforze del Salto di Quirra“ das größte, es umfasst den Festlandteil mit der Zentrale in Perdasdefogu und den maritimen Stützpunkt Capo San Lorenzo. Mit dem regelmäßig gesperrten Seegebiet hat es ein Fläche von 28.000 Quadratkilometer und ist größer als die Insel selbst.

■  Die Bundeswehr: Seit 1960 unterhält die Luftwaffe der Bundeswehr auf Sardinien den Militärflugplatz Decimomannu. Mit Nato-Partnern richtet sie dort die Luftkampfausbildung aus, nahezu jeder deutsche fliegende Verband verlegt für zwei Wochen im Jahr Abordnungen auf die Insel.

■  Das Uran: DU-Munition wird aus abgereichertem Uran hergestellt, einem billigen Abfallprodukt der Atomwirtschaft. DU steht für das englische „depleted uranium“. Die Temperaturen und Kräfte, die beim Einschlag entstehen, sind so hoch, dass das Geschoss schmilzt und zum Teil zerstäubt. Durch das Entzünden, Schmelzen und Zerstäuben des Urans gelangen krebserregende Schwebeteilchen in die Umgebungsluft – und damit auch in Lungen und Mägen von Menschen und Tieren.

AUS SARDINIEN MARIE-CLAUDE BIANCO UND AMBROS WAIBEL

Der Staatsanwalt Domenico Fiordalisi will jetzt erst einmal 10.000 Schafe, Ziegen und Rinder vertreiben lassen. Sie sollen nicht mehr in Salto di Quirra grasen, auf dem Truppenübungsplatz im Südosten Sardiniens. Die Viehzüchter regen sich auf. Aber würde Fiordalisi sich davon einschüchtern lassen, wäre er ohnehin der Falsche für diese ganze Angelegenheit.

Wenn Domenico Fiordalisi sich in der Öffentlichkeit bewegt, begleiten ihn drei Männer mit großkalibrigen Pistolen unter den Hemden.

Die Staatsanwaltschaft von Lanusei, der kleinsten Provinzhauptstadt Italiens, sitzt in einem beigen Funktionsbau. Als Fiordalisi an diesem sonnigen Abend in sein kühles Büro kommt, zieht er den Kopf ein. Die Türstöcke sind niedrig, und Fiordalisi ist ein ziemlicher Riese.

Der Staatsanwalt hat gerade das größte militärische Sperrgebiet Europas beschlagnahmen lassen: Salto di Quirra. Und er ermittelt wegen Mordes gegen dessen ehemaligen Kommandanten. Das Truppenübungsgelände ist fast so groß wie das deutsche Darmstadt, 116 Quadratkilometer. Die Militäroperationen dürfen dort zwar vorerst weitergehen. Das Land darf nur nicht mehr als Weide genutzt werden.

Jetzt protestieren also die Landwirte. Aber viele Käsereien weigern sich sowieso, den Hartkäse Pecorino sardo aus der Milch von Schafen herzustellen, die Lämmer mit Augen hinter den Ohren gebären.

Wahrscheinlich sind die Bauern sogar das kleinste Problem des Domenico Fiordalisi. Eine Bürgerinitiative prangert seit Jahrzehnten die hohe Todesrate wegen Krebserkrankungen in der Umgebung des Übungsplatzes an. Und ganz am Anfang von Fiordalisis Beschlagnahmeverordnung findet man einen Verdacht gegen eine deutsche Rüstungsfirma und die Bundeswehr. Es geht um Urangefechtsköpfe. Weshalb Domenico Fiordalisi Kontakt mit deutschen Behörden aufgenommen hat.

Für viele ist Fiordalisi die letzte Hoffnung nach Jahren des Schweigens. Andere sprühen Morddrohungen gegen ihn an Häuserwände.

50.000 Euro pro Stunde, hat sich der Staatsanwalt sagen lassen, zahlen Firmen an das italienische Verteidigungsministerium, um irgendwelche Substanzen in den sardischen Himmel aufsteigen, in den Boden und in das Wasser eindringen zu lassen, die nur sie kennen.

Gelassen wie ein Bär sitzt Fiordalisi in dem hellen Büro mit den praktischen Ledermöbeln. Auf dem Schreibtisch ist alles geordnet. Nur unter dem Tisch werden Fiordalisis Füße bei manchen Fragen unruhig.

Der Ort, der ihn doch ein wenig nervös zu machen scheint, liegt in den Bergen Sardiniens. Der Landstrich wäre eine gute Kulisse für einen Karl-May-Film. Thymian und Lavendel wachsen zwischen krummen Korkeichen. Hohe Granitfelsen, steile Schluchten, verfallene Häuser.

Auf einem Hügel wölbt sich die riesige Kuppel einer Radaranlage. Hier versteckt sich ein Teil des größten militärischen Sperrgebiets der Nato, das bis weit ins Meer reicht. „Kronjuwel“ nennen es italienische Generäle. Auf dem Gelände befindet sich ein Raketenstartplatz. Die Bundeswehr nutzte Salto di Quirra in den Achtziger Jahren. Andere europäische Nato-Partner, die Türkei und Israel testen Waffensysteme.

In Lanusei trägt der Staatsanwalt an diesem Abend einen grau-blauen Anzug von der Stange. Sein Hemd ist einen Knopf weiter geöffnet, als man es von einer Amtsperson erwartet – sogar im 595 Meter hoch gelegenen Lanusei ist es abends um sieben noch 35 Grad warm.

Domenico Fiordalisi weiß, dass er auf einem schmalen Grat wandert. Staatsanwälte werden in Italien schnell zu Helden stilisiert oder zu Kommunisten erklärt. Sie machen Karriere in Fernsehen und Politik – wie Antonio Di Pietro, einst Chefermittler in der Spendenaffäre, die in den Neunzigern die italienische Parteienlandschaft zerstörte. Heute ist Di Pietro Vorsitzender der Anti-Berlusconi-Partei „Italien der Werte“. Einer aktuellen Umfrage zufolge vertraut mehr als die Hälfte der Italiener der Staatsanwaltschaft. Es gibt jetzt die Facebookseite „Unterstützung für Domenico Fiordalisi“. Wer so hoch gehoben wird, kann tief fallen.

Fiordalisi ist erst seit drei Jahren in dem Bergdorf Lanusei mit seinen 6.000 Einwohnern. Es ist wohl nicht der Karrierehöhepunkt, von dem dieser Mann aus einer renommierten Juristenfamilie geträumt hat. Fiordalisi hat in den Neunzigern in Kalabrien gegen die Mafia, die ’Ndrangheta, ermittelt. Auch auf Sardinien hat er seit seinem Amtsantritt im Sommer 2008 Strukturen organisierter Kriminalität aufgedeckt. Seiner Frau wurden daraufhin die Autoreifen zerstochen. Jemand legte einen Umschlag mit Kugeln vor sein Haus.

Der Staatsanwalt erhält eine Anzeige der Tierärzte

Die Lokalpresse schreibt, Fiordalisi habe einen Fehler gemacht: die verstaubten Akten aus den Schränken zu holen und hartnäckig die Fälle abzuarbeiten.

Domenico Fiordalisi ist seit 1986 im Justizdienst. Er hat in dieser Zeit einige Disziplinarverfahren überstanden, am Ende wurde er immer vollständig entlastet.

Wahrscheinlich hat ihn das vorsichtig gemacht, so klingt er jedenfalls: „Im Januar diesen Jahres erreichte mich eine Anzeige von Tierärzten der Gesundheitsämter von Lanusei und der Hauptstadt der Region Sardinien, Cagliari: Veterinäre, die eine Untersuchung zu Missbildungen bei Tieren gemacht hatten, die auf dem Gelände des militärischen Schieß- und Übungsgeländes Salto di Quirra weideten“, sagt er. „Die Zentrale dieses Sperrgebiets befindet sich in der Kommune Perdasdefogu, die zur Provinz Ogliastra gehört und damit in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Lanusei fällt. Deshalb bestand für uns die Notwendigkeit, eine strafrechtliche Untersuchung einzuleiten. Die Missbildungen waren beträchtlich und ließen an eine mögliche radioaktive Verseuchung denken – etwa durch Uranmunition, die von der Nato in Kriegen eingesetzt wurde, allerdings – nach eigener Aussage – nicht von den italienischen Streitkräften. Da in dem Gebiet auch fremde Truppen und Privatfirmen Tests durchführen, konnte der Verdacht nicht ausgeschlossen werden.“ Zu den fremden Truppen zählte unter anderem die deutsche Bundeswehr.

Fiordalisi fährt fort: „Uran wurde dann in den Knochen eines Lamms gefunden, das zu einer Herde gehörte, die auf dem Gelände weidete. Dort befand sich der zentrale Entsorgungsplatz für die Waffen der gesamten italienischen Luftwaffe. Weiter ergaben die Untersuchungen, dass der Sprengplatz von 1984 bis 1989 intensiv, bis 2008 dann nur noch eingeschränkt genutzt wurde und mit metallischen Nanopartikeln verseucht war, die nach unseren Informationen krebserregend sind.“ Der Staatsanwalt trägt das ruhig und sachlich vor, als hätte er es oft erzählt. „Damit setzen wir uns auseinander, mit nichts anderem“, sagt er.

Fiordalisi hat mehr als zwanzig Exhumierungen verstorbener Hirten angeordnet – eine Maßnahme, die für beträchtliche Unruhe sorgt. Tierzüchter sind mit Schafen vor seinem Büro aufmarschiert, begleitet von Bauernfunktionären, Bürgermeistern und Exmilitärs. Sie forderten eine Verlängerung der Räumungsfrist. Anständige Leute, die ihre Rechte wahrnähmen, sagt Fiordalisi, keine Chaoten. Er ist ein Mann der Ordnung. In Deutschland würde man ihn einen Rechten nennen. Aber Italien ist anders und Sardinien sowieso. Hier ergeben sich seltsame Koalitionen – etwa zwischen einem wie Fiordalisi und einer wie Mariella Cao.

Mariella Cao kämpft seit mehr als zwanzig Jahren gegen das Poligono, den Übungsplatz. Sie ist 60 Jahre alt, sehr schmal und wirkt fast zerbrechlich. Mit schlanken Fingern streicht sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zündet sich eine Zigarette an. Ihre Stimme ist tief, sie spricht schnell. Cao kommt kaum dazu, von dem Eistee zu trinken, der in dem Café in Cagliari vor ihr steht.

1956 hatte das Militär das Gelände für das militärischen Versuchsgelände beschlagnahmt, musste den Landbesitzern aber weiter ein Nutzungsrecht einräumen. Die Gemeinden erhielten Ausgleichszahlungen. Aus dem Armenhaus Ogliastra wurde damit zwar keine reiche Gegend. Cao kennt aber Menschen, die vorher nichts zu essen hatten und wegen des Übungsplatzes nun sogar ihre Kinder zur Schule schicken konnten. Die Verbundenheit von Militär und Bevölkerung in der Gegend ist stark, auch wegen zahlreicher Ehen.

Manchmal bitten Militärs die Bauern um Hilfe. Einmal haben sie eine Rakete mit einem Ochsenkarren bergen lassen. Am Eingang zum Dorf Perdasdefogu erzählt ein Wandgemälde davon.

Die Lehrerin nennt es militärische Versklavung

Fiordalisi kam auf die Insel, holte alte Akten aus den Schränken und ermittelte. Dann legte jemand die Kugeln vor sein Haus

Seit Mitte der Neunziger arbeitete Cao als Grundschullehrerin in dem Ort Villaputzu. Hartnäckig hielten sich Gerüchte über seltsame Todesfälle. 1999 starb ein junger Soldat an Krebs. Er war von einem Nato-Einsatz aus Bosnien zurückgekehrt. „Die Leute hörten da zum ersten Mal von Uranmunition, die die Nato-Truppen auch in Exjugoslawien einsetzten“, erinnert sich Cao. Ein Wehrpflichtiger starb an Leukämie. Seine Eltern sprachen beim Bürgermeister vor. Niemand wollte ihre Geschichte hören.

Die Militärführung wiegelte ab, tragische Einzelfälle, verwies wieder auf die Nato-Einsätze. Obwohl der junge Wehrpflichtige nie außerhalb der Insel stationiert gewesen war.

Die Waffen, die die Nato in ihren Einsätzen verwendete, seien seit Jahrzehnten auf der Insel getestet worden, sagt Cao. Sie gründete die Initiative „Gettiamo le basi“, das heißt „Weg mit den Basen“, aber auch „die Basis legen für etwas Neues“.

Cao fand Mitstreiter wie die Medizinerin Antonietta Gatti, die seit Jahren die Folgen militärischer Verschmutzung erforscht. Gatti hatte sich auf die Verunreinigung durch Nanopartikel spezialisiert, die sich bei Waffenexplosionen in der Atmosphäre verteilen. Gemeinsam erhöhten sie den Druck auf die Politik. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet.

Für manche fügt sich das alles in eine jahrtausendelange Geschichte: die Karthager, die Römer. Genua, Pisa, die Katalanen. Sie alle hatten die Sarden kolonisiert. Und dann wurde Sardinien auch noch zur Militärmüllkippe von Nato und Nationalstaat. Mariella Cao spricht von militärischer Versklavung.

Jetzt ermittelt Domenico Fiordalisi, und Cao weiß gar nicht genau, ob sie glücklich sein soll. Denn erst einmal hat er angeordnet, was das Militär schon immer gewünscht habe, sagt Cao. Die Hirten und ihre Tiere sollen verschwinden. Wenn nun ohne Zeugen weitergeballert wird, das Land aber besetzt bleibt: Was hat Mariella Cao dann gewonnen?

Stefano Artitzu, dessen Tochter fünf Finger fehlen, kann den Radarturm in Salto di Quirra von seinem Haus aus sehen. Er wohnt in Escalaplano, einem Dorf mit 2.500 Einwohnern. Artitzu betreibt hier sein kleines Fotogeschäft. Er ist 50, groß und schlank. Artitzu trägt ein dunkles Hemd und ein goldenes Armband. Er sieht älter aus, die Zähne müssten gemacht werden.

Artitzu ist nicht grundsätzlich gegen Militär und Basen auf Sardinien. Er ist kein Pazifist. Er ist nur wütend wegen all der Lügen. Seine Tochter wurde vor 18 Jahren ohne Finger an der rechten Hand geboren. Damals hat das ihn und seine Frau nicht weiter gekümmert. Schicksal. Die Tochter sei so glücklich wie andere Menschen, Daniela heißt sie.

Vereinzelt hörte er Hirten von deformierten Lämmern erzählen. Doch es dauerte Jahre, bis sie auch von anderen missgebildeten Kindern hörten. Da hat man sich erstmals zusammengesetzt, sich ausgetauscht. Allein im Jahr 1988 kamen 14 Neugeborene mit Missbildungen auf die Welt. Artitzu erzählt vom „Monster“. So bezeichnete die Krankenschwester ein Baby, das sie in der Klinik auf dem Arm seiner Mutter sah. Sie, die Anwohner, versuchten, die Ursachen herauszufinden.

Niemand half ihnen. Nicht das Gesundheitsamt, nicht die Verwaltung, nicht die Kirche. Als immer mehr Missbildungen auftraten, habe man sich an die Presse gewandt. Der damalige Bürgermeister von Escalaplano beschimpfte die kleine Aktivistengruppe, sie würde seinen Ort mit Dreck bewerfen.

Artitzu sagt, es sei die Angst vor der Politik, die das Poligono schützt. Hundert Leute aus Escalaplano lebten von der Basis. Arbeit schlägt Gesundheit. „Meine Schwester ist mit neun Jahren an einem Hodgkin-Lymphom gestorben“, sagt Artitzu und blickt in die Ferne. Krebs.

Und dann kam Domenico Fiordalisi, der neue Staatsanwalt. Artitzu hat eine Aussage gemacht. Er hat den Behörden Material übergeben, Zeitungsartikel. Und ein missgebildetes Lamm. „Das hatte ich bei mir ein Jahr im Keller, in Formalin eingelegt.“ Artitzu lächelt stolz wie ein kleiner Junge. Alle seine Hoffnung setzt er jetzt auf die Ermittlungen von Domenico Fiordalisi.

„Wir haben da unsere Wege.“ Der Staatsanwalt lächelt selbstbewusst. Seine Institution, die „Magistratura“, hat Kontakt aufgenommen nach Deutschland, um mehr herauszufinden über die Kormoran-Raketen der deutschen Rüstungsschmiede Messerschmitt-Bölkow-Blom, kurz MBB, die von Tornados der deutschen Luftwaffe abgeschossen wurden.

Fiordalisi ist zwar noch ein wenig beleidigt, dass Giancarlo Carrusci zuerst mit der Presse sprach, nicht mit ihm, dem Staatsanwalt. Die Presse hat Carrusci gleich zum „Superzeugen“ erhoben. „Aber natürlich“, sagt Fiordalisi, er halte den Zeugen für „sehr glaubwürdig“.

Der ehemalige Hauptmann Giancarlo Carrusci sitzt an seinem Schreibtisch, im Keller seines Hauses in einem Vorort von Cagliari: „Stahlbeton“, er lacht, „kein Handyempfang.“ Und abhörsicher. Carrusci, 60 Jahre alt, trägt Poloshirt, Segelschuhe und einen akkurat gestutzten Schnurrbart. Er ist Energiesparberater. Von 1976 bis 1992 war er in Quirra verantwortlich für die operativen Aktivitäten. „Sämtliche Raketenabschüsse müssen minutiös geplant werden, um sicherzugehen, dass die Bevölkerung nicht gefährdet wird.“

Carrusci sagt, dass auch die Rüstungsfirma MBB Waffen auf dem Poligono getestet habe. Heute gehört MBB zu EADS, der European Aeronautic Defence and Space Company, Europas zweitgrößtem Rüstungskonzern. Für die Bundeswehr entwickelte MBB seit 1962 die Kormoran, eine luftgestützte Antischiffsrakete. Anfang der Achtziger Jahre begannen die Tests für die Version „Kormoran 2“. „Geplant waren drei Raketenabschüsse“, erinnert sich Carrusci. Bei dem Briefing seien Ingenieure von MBB und vier Tornado-Piloten der deutschen Luftwaffe gewesen. Man habe die Durchschlagskraft der Raketen in ein stahlverstärktes Schiff analysieren wollen. Dafür feuerte ein Bundeswehr-Tornado die Rakete auf das Ziel, der zweite Kampfjet flog hinterher, um den Abschuss zu dokumentieren.

Das abgeschossene Schiff ist jetzt verschwunden

„Die Raketen hatten Gefechtsköpfe mit Uranmunition“, sagt Carrusci. Er habe das an der Rauchentwicklung der Explosion erkannt. Normalerweise sei der Rauch grau. Je heißer die Temperaturen, desto heller werde er jedoch. „Bei diesen zwei Abschüssen war der Rauch sehr weiß, es muss 2.000 bis 3.000 Grad heiß geworden sein.“ Temperaturen, die keine normale Rakete entwickeln kann. Der erste Versuch im Herbst 1988 sei fehlgeschlagen, die Rakete landete im Wasser. Die Einschlagstelle vierzig Kilometer weit im Meer vor Porto Corallo heißt seitdem „secca dei tedeschi“, „Untiefe der Deutschen“.

Der Ingenieur sitzt in seinem Keller aus Stahlbeton: Die deutsche Firma MBB habe auf Sardinien Uranmunition getestet. „Definitiv nicht“, sagt der Sprecher des Konzerns

Der zweite Versuch im Oktober 1989 habe besser geklappt. Die Rakete traf das Ziel. Das Schiff sei sichergestellt und die Rakete in der eingeschlagenen Position fixiert worden. Dann sei das Schiff in den Hafen von Cagliari geschleppt worden, in den militärisch abgesperrten Bereich. Dort verliert sich die Spur – Rakete und Schiff sind verschwunden. Eine Tatsache, die auch den Staatsanwalt beschäftigt. Doch mehr als zwanzig Jahre später ist es schwer, noch brauchbare Beweise zu finden. Deshalb hat Fiordalisi die deutsche Justiz um Amtshilfe gebeten.

Es ist ein Morgen Ende Juni. Im historischen Ratssaal der Provinzregierung an der Piazza Palazzo in Cagliari, hat der italienische Naturschutzbund Legambiente eine Versammlung zum „Fall Quirra“ einberufen. An die sechzig Zuhörer sind gekommen. Bilder aus der sardischen Geschichte schmücken die Wände. Bürgermeister, Wissenschaftler und Abgeordnete sollen die Bürger aufklären. Ist der Boden, das Wasser tatsächlich radioaktiv verseucht? Muss das Poligono geschlossen werden?

Die Politiker weichen aus. Was ist Heuchelei, was Hilflosigkeit? Glaubt der Bürgermeister von Villaputzu wirklich, in einem halben Jahr könne das Poligono gesäubert sein? Weiß hier niemand, dass in Deutschland und den USA ähnliche Anlagen jahrzehntelang hinter Stacheldraht ruhen, bis man anfängt, über eine Nachnutzung nachzudenken?

Im Publikum sitzt Mariella Cao auf einer Holzbank und ruft immer wieder dazwischen. „Cao, was willst du schon wieder“, antwortet jemand vom Podium.

Man spürt in diesem historischen Ratssaal, was die Schwierigkeiten bei Domenico Fiordalisis Ermittlungen sind. Noch härter könnte es in Deutschland werden.

Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagt, man äußere sich nicht „zu angeblichen Ermittlungen einer ausländischen Behörde“.

Der Konzern EADS bestätigt zwar, dass MBB die Kormoran-Raketen für die Bundeswehr entwickelt hat. Der Sprecher sagt aber: „Ich kann definitiv ausschließen, dass MBB beziehungsweise EADS jemals Uranmunition verwendet haben.“ Dann verweist er auf die Luftwaffe.

Nein, sagt der Sprecher des Presse- und Informationszentrums, man wolle sich nicht äußern. Nein, ein Besuch auf dem Luftwaffenstützpunkt Decimomannu auf Sardinien sei nicht möglich. Dann bleibt er in der Leitung. Man erzählt ihm ein wenig, was gerade so passiert auf der Insel. Der Sprecher schweigt, legt aber nicht auf. Ist er sicher, dass die Bundeswehr nicht von den Toten und Missbildungen rund um Quirra wisse? Schließlich sind ja deutsche Soldaten samt Familien dort stationiert. Damit, beschließt der Sprecher dann irgendwann doch das Gespräch, solle sich das Verteidigungsministerium beschäftigen.

Im Büro von Domenico Fiordalisi ist es halb neun geworden. Das Abendlicht fällt immer milder durch die großen Fenster. Am besten, man behandle die Kormoran-Sache in Deutschland ganz nüchtern, sagt der Staatsanwalt. Das sei doch immer am wirkungsvollsten.

■  Marie-Claude Bianco, 37, taz-Volontärin, ist mit einem Sarden verheiratet. Pitzente Bianco, 48, hat die Recherchen sehr unterstützt

■  Ambros Waibel, 42, taz-Meinungsredakteur, war zum ersten Mal auf Sardinien