Radio Bremen vor dem Arbeitsgericht

Fristlos wurde ein 60-jähriger Redaktionsleiter von Radio Bremen gefeuert. Grund: Er hatte einen kranken Kollegen in Hamburg besucht. Ohne Genehmigung. Der unbequeme Mann steht für niveauvolles Programm, sagen Mitarbeiter

Vor dem Arbeitsgericht in Bremen wird die fristlose Kündigung von Gerd Widmer verhandelt. 34 Jahre ist der 60-Jährige bei der ARD beschäftigt, davon 27 Jahre bei Radio Bremen. 2001 ist er Arte-Beauftragter und Redaktionsleiter von „Kultur und Gesellschaft“ geworden, zuständig für alle Feature-Filme von Radio Bremen. Grund der Kündigung im Mai 2007: eine ungenehmigte Dienstreise.

Das Ziel der Reise war Hamburg. Widmer hatte dort im Krankenhaus einen seiner Film-Autoren besucht, der im Dienst schwer verletzt wurde. Zwei Wochen vorher hatte er die Dienstreise beantragt, nichts gehört. Dann kaufte er eigenmächtig ein Niedersachsen-Ticket für 20 Euro und fuhr los.

Radio-Bremen-Mitarbeiter sind nach Tarifvertrag nach zehn Jahren unkündbar. Nur fristlos kann man sie rausschmeißen, aber dafür gebe es eine hohe Hürde, merkt die Richterin an. Zwei Abmahnungen habe es gegeben. Hans Claussen ist der Anwalt, der Radio Bremen vertritt. Den Inhalt der ersten Abmahnung habe er gerade nicht präsent, meint der Anwalt, bei der anderen ging es darum, dass Widmer an zwei Tagen zu Hause gearbeitet hat. Ob es denn eine Dienstanweisung dazu gebe, fragt die Richterin.

Morgens sei er an den beiden fraglichen Tagen im Büro gewesen, sagt Widmer, nachmittags habe er zu Hause gearbeitet, weil er da mehr Ruhe habe. Als Redaktionsleiter habe er immer frei entscheiden können, ob er zu Hause arbeitet oder nicht.

Aber das ist Widmer seit Herbst 2005 nicht mehr. Zwar bekommt er noch das Redaktionsleitergehalt, aber seine Redaktion wurde aufgelöst, verschmolzen, ihm eine neue Redaktionsleiterin vor die Nase gesetzt. Da beginnt das Problem. Das Arbeitsverhältnis sei von dem Zeitpunkt an gespannt gewesen, sagt Anwalt Claussen, Widmer sei der neuen Chefin nur ironisch gekommen, habe deutlich gemacht, dass er mit ihr nicht zusammenarbeiten will. Das unerlaubte Zuhause-Arbeiten sei nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.

Die Richterin deutet ihre Skepsis mit dem Hinweis auf die „hohe Hürde der fristlosen Kündigung“ an und vertagt die Verhandlung auf den 1. November. Dann soll auch über gütliche Regelungen verhandelt werden. Immerhin ist Widmer 60.

Einige aus dem Sender sind als Zuhörer gekommen. „Was Widmer vorgeworfen wird, machen hundert Leute tausendmal im Jahr. Zu Hause arbeiten – lächerlich“, sagt eine Mitarbeiterin. „Ich finde es ganz furchtbar. Herr Widmer hat inhaltlich niveauvolles Fernsehen gemacht. Das ist eine Katastrophe, so einen Menschen so zu behandeln.“ Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, denn der Intendant führt ein katholisch strenges Regime.

Ein anderer: „Als ob Radio Bremen zu einer Landesrundfunkanstalt für den NDR gemacht werden soll, nur dass das nicht draußen am Schild steht.“ Radio Bremen wird demnächst eine Serie über den Zoo in Bremerhaven ausstrahlen.

Einer traut sich, mit Namen seine Meinung zu sagen: Gerd Sander, ein Ehemaliger von Radio Bremen. Es gehe um Machtspiele des Intendanten und des Programmdirektors, sagt er. Wenn es einen konzeptionellen Hintergrund gebe, dann könne das nur die Verflachung des Programms sein. KLAUS WOLSCHNER