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Archiv-Artikel

Rettungspaket mit Hintertür

ERGEBNISSE DES EU-GIPFELS Die Analysten sind sich uneinig, welche Folgen das griechische Hilfspaket hat. Ein Überblick

Es wurde beschlossen, „die Abhängigkeit von externen Ratings“ zu verringern. Konkret wurden die Regierungschefs jedoch nicht

VON ULRIKE HERRMANN UND NICOLA LIEBERT

Neues Hilfspaket

Athen erhält von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Hilfen von 109 Milliarden Euro. Im Mai 2010 waren bereits Kreditzusagen von 110 Milliarden Euro beschlossen worden. Darüber hinaus sollen sich die Gläubiger Griechenlands, Banken und Versicherungen, freiwillig an den Rettungskosten beteiligen.

Bewertungen: Die Finanzmärkte reagierten positiv. Der Euro stieg auf 1,44 zum Dollar. Der Aktienindex DAX legte leicht zu. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hingegen äußerte sich kritisch: „Es wurde eine Chance vertan.“ Der griechische Schuldenberg sei weiterhin zu hoch. Man hätte einen „drastischeren Schuldenschnitt“ beschließen müssen.

Der Rettungsplan konkret

Griechenland muss für die Hilfskredite von EU und IWF nur noch rund 3,5 statt 4,5 Prozent Zinsen zahlen. Außerdem werden die Laufzeiten gestreckt. Bisher betrugen sie 7,5 Jahre – künftig sollen es mindestens 15 Jahre bis maximal 30 Jahre sein. Diese neuen Konditionen sollen auch für Irland und Portugal gelten, die derzeit ebenfalls Hilfskredite aus dem EU-Rettungsfonds erhalten.

Bewertungen: Die Zinssenkungen werden allgemein positiv gesehen. Der Steuerzahlerbund moniert aber, wie viele Experten, dass vor allem die Steuerzahler das Risiko tragen, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann.

Beteiligung der Banken und Versicherungen

Erstmals beteiligen sich auch die privaten Gläubiger an einem Rettungspaket. Banken und Versicherungen sollen ihre griechischen Staatsanleihen freiwillig in neue Anleihen des EU-Rettungsschirms umtauschen und längere Laufzeiten und niedrigere Nennwerte akzeptieren. Dies soll 37 Milliarden Euro bringen.

Zudem ist geplant, dass Banken und Versicherungen ihre griechischen Staatsanleihen mit einem Abschlag an den EU-Rettungsschirm verkaufen. Das soll weitere 12,6 Milliarden Euro beisteuern. Eine derartige Beteiligung der Finanzbranche ist nur für Griechenland vorgesehen. Für Irland oder Portugal wurde sie explizit ausgeschlossen.

Bewertungen: Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann rechnet mit einem Verlust von 21 Prozent. Bis 2020 würden die Banken und Fonds 135 Milliarden Euro beisteuern. Kanzlerin Merkel kommt hingegen nur auf 106 Milliarden. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält auch diese Rechnung für falsch: Die Banken machten „ein gutes Geschäft“ (siehe taz-Interview auf Seite 11).

„Marshall-Plan“ für Griechenland

Um die griechische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, soll es ein europäisches Investitionsprogramm geben. Das Geld dafür ist vorhanden: Griechenland hat 15 Milliarden Euro aus EU-Programmen nicht abgerufen, weil es die eigentlich vorgeschriebene Kofinanzierung nicht leisten konnte. Auf diese Kofinanzierung soll nun verzichtet werden.

Bewertungen: Dem Deutschen Gewerkschaftsbund „fehlt weiterhin eine Wachstumsperspektive für die Krisenländer.“

EU-Rettungsschirm hilft auch Spanien und Italien

Die Beteiligung der Finanzbranche an den neuen Hilfen für Griechenland birgt ein Risiko – die „Ansteckungsgefahr“. Die Zinsen für andere potenzielle Krisenländer wie Spanien oder Italien könnten stark steigen und sie ebenfalls in die Pleite treiben. Deswegen erhielt der EU-Rettungsschirm neue Befugnisse: Er darf gefährdeten Ländern eine Kreditlinie eröffnen, deren Banken stützen sowie Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen zu drücken. Für diese Zusatzkompetenzen wird der EU-Rettungsschirm jedoch nicht aufgestockt, der momentan 440 Milliarden Euro ausgeben kann.

Bewertungen: Der österreichische Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister sieht darin den überfälligen Einstieg in einen „Europäischen Währungsfonds“. Das DIW hingegen missbilligt die „Einführung von Eurobonds durch die Hintertür“.

Entmachtung der US-Ratingagenturen

Auf dem EU-Gipfel wurde beschlossen, „die Abhängigkeit von externen Ratings“ zu verringern. Konkret wurden die Regierungschefs jedoch nicht, sondern sehen „den Vorschlägen der EU-Kommission erwartungsvoll entgegen“. Die Regierungschefs sind verärgert, weil die Ratingagenturen im Vorfeld des Gipfels angekündigt hatten, dass sie eine Beteiligung der Finanzbranche als „Zahlungsausfall“ werten.

Bewertungen: Wie erwartet kündigte die Ratingagentur Fitch gestern an, Griechenland als „teilweise zahlungsunfähig“ einzustufen.

Absicherung für die EZB

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat schon vor dem Gipfel angekündigt, dass sie griechische Staatsanleihen nicht als Sicherheiten akzeptieren kann, wenn von den Ratingagenturen ein „Zahlungsausfall“ festgestellt wurde. Ohne EZB-Geld würden die griechischen Banken jedoch auf die Pleite zusteuern. Auf dem Gipfel wurde daher beschlossen, dass der EU-Rettungsschirm 35 Milliarden Euro bei der EZB als Sicherheit hinterlegt.

Bewertungen: Dass EZB-Chef Trichet einer Umschuldung zustimmt, obwohl er sie eben noch vehement bekämpft hat, tut Deutsche-Bank-Volkswirt Gilles Moec mit einem Schulterzucken ab: „Trichet ist ein Staatsmann, der tut, was er tun muss. Wenn das eine 180-Grad-Wende ist, dann ist das so.“ Immerhin war das nicht die erste Wende. Vergangenes Jahr hatte die EZB nach langem Zögern Staatsanleihen der Krisenstaaten aufgekauft, um deren Zinsen zu drücken. Diese Aufgabe soll nun der EU-Rettungsschirm übernehmen. „Der EZB wird es bald wieder möglich sein, sich auf ihre eigentliche Aufgabe – die Geldpolitik – zu konzentrieren“, freut sich daher Michael Schröder vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.

Wie geht es weiter?

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Griechenland alsbald noch ein Rettungspaket benötigt. Denn die Wirtschaft schrumpft weiter. Zudem wird bisher damit gerechnet, dass Athen 50 Milliarden Euro durch Privatisierungserlöse beisteuert. Das könnte sich als Luftbuchung erweisen.