Wenn die Einheimischen nur noch stören

LEBEN Berlin will von Barcelona lernen. Aber was? Die Einwohner der spanischen Metropole leiden unter den Folgen eines ausufernden Tourismus: Mieten werden zu teuer, Parks privatisiert, Busse, Märkte und Straßen sind überfüllt. Doch Politik und Wirtschaft wollen noch mehr

■ Opfer ihres eigenen Erfolgs? Wie Berlin und Barcelona an ihrer Anziehungskraft zu ersticken drohen und BewohnerInnen sich dagegen wehren. Die Veranstaltung widmet sich dem häufig konstatierten „touristischen Ausverkauf“ der Städte sowie der Frage, was dagegen zu tun ist.

■ Es diskutieren Eduardo Chibás (Regisseur von „Bye Bye Barcelona“), Reme Gomez (AAVVGòtic/Xarxa Ciutat Vella, Barcelona), Albert Arias (Universitat Rovira i Virgili, Tarragona), Johannes Novy (Berlin), Moderation: taz-Redakteurin Edith Kresta.

■ Freitag, den 28. 11. um 19 Uhr im taz Cafe, Rudi-Dutschke-Str. 23.

AUS BARCELONA ANDREA GONZÁLEZ

Selbst wer nicht länger daran glauben mag, muss es jeden Tag lesen, auf riesigen Plakaten, die überall in der Mittelmeermetropole prangen: „Barcelona inspira“ – „Barcelona inspiriert“, heißt es dort. Besonders inspirierend sind die Zeiten vor allem für diejenigen, die am Tourismus verdienen. „Unsere Besucher finden hier alles, was sie wünschen, angefangen von den singulären Bauten des genialen Architekten Antoni Gaudí bis hin zum echten mediterranen Feeling“, heißt es bei der Fremdenverkehrsbehörde „Turisme de Barcelona“.

Doch die Sache mit dem „Feeling“ wird immer schwieriger, denn inzwischen drängen sich 7,5 Millionen Touristen jährlich durch die Altstadt von Barcelona, mit 15.895 Bewohnern pro Quadratkilometer (Berlin: 1.782) ohnehin eine der am dichtesten besiedelten Städte Europas.

„Wie wir uns fühlen, das fragt keiner“, klagt María José Arteaga (55) im Mercado de la Boqueria an der Flaniermeile Ramblas, in Fachzeitschriften bereits zum „weltbesten Markt“ gekürt. Bereits in dritter Generation betreibt Marias Familie hier einen Geflügelstand. Doch die Geschäfte laufen immer schlechter, obwohl der Markt immer voller Menschen ist. „Meine Kunden kommen wegen den Horden von Touristen, die den Eingangsbereich blockieren, gar nicht mehr richtig zu uns durch“, klagt Arteaga, während sie mit geübten Bewegungen ein paar Hühnerschenkel in Reih und Glied legt. „Die Touristen wollen nichts kaufen, die bleiben nur zehn Minuten und schießen Fotos. Wir hingegen haben viele unserer alten Klienten verloren, denen das Gedränge zu stressig geworden ist.“

Längst wurden die Offerten auf dem Markt an den Geschmack des Durchgangstouristen angepasst: In den besseren Lagen am Eingang nahe der Ramblas wird ein buntes Sortiment von Fruchtsäften und -salaten an den Mann gebracht. „Die Essenz dieses Marktes geht immer mehr verloren, er gleicht einer Art Themenpark“, bilanziert Joan, ein gebürtiger Barcelonese, der es sich trotz alledem nicht nehmen lässt, jeden Tag in seinem Viertel einzukaufen. „Kaum zu glauben, dass ein Markt wie die Boqueria an seinem eigenen Erfolg eingehen kann.“

Während Joan es noch halbwegs gelassen nimmt, hat der Maler Gabriel Picart dem Massentourismus und dem, was er aus dem kulturellen Erbe seiner Geburtsstadt macht, den Kampf angesagt. Seine Großmutter war 70 Jahre lang Pförtnerin des Touristenmagneten Parque Güell, der mittlerweile stolze acht Euro Eintritt kostet. Picard lernte das Malerhandwerk in der Casa Gaudí, in der einst der Meister höchstpersönlich lebte, als er den Park entwarf. „Das ist alles wie eine Virusattacke. Wir Anwohner stören nur. Auf der Straße kannst du nicht laufen, weil die Taxis vor dem Parkeingang den gesamten Platz einnehmen. In den Bus kommst du nicht, weil er voller Touristen ist. Die Läden im Viertel sind weg, weil jetzt alle auf Fast Food und Souvenirs für die Besucher umgesattelt haben.“ Das Phänomen beobachtet er in allen „heißen Zonen“ der Stadt, wie die Gegend um die Sagrada Família oder die Ciutat Vella. Für Picard stehen die Schuldigen fest: Das Rathaus und die Lobbys, die nur ihre Interessen verteidigen.

Sie haben die Argumente auf ihrer Seite: 120.000 Jobs hängen inzwischen am Tourismus, der tagtäglich Einkünfte von 37 Millionen Euro generiert – da ist es schwierig zu meckern. Picart tut es trotzdem: „Was nützt es denn, wenn diese Stadt viel Geld mit den Touristen verdient, ich aber wegziehen muss?“

Der Parque Güell ist längst nicht der einzige öffentliche Raum, der privatisiert wurde. In den letzten Jahren ist der Festung Castell de Montjuïc und dem Hospital Sant Pau das gleiche Schicksal widerfahren. An Weihnachten wird dieses Jahr an der Plaça Catalunya eine Eispiste aufgestellt, die Benutzung ist kostenpflichtig, obwohl das Rathaus 300.000 Euro beisteuert.

Für den Städteplaner und Ingenieur Francesc Magunyà ist das empörend: „In einer neoliberalen und kapitalistischen Wirtschaft dient der öffentliche Raum nur dem Konsum“, so Magunyà. Und den Touristen: „Wenn die Tourismuslobby könnte, würde sie für die Einheimischen die Ramblas dicht machen“, glaubt Reme Gómez. Sie ist Bibliothekarin an der Universität Pompeu Fabra und Aktivistin in ihrem Viertel Ciutat Vella. Dort beobachtet Reme mit Sorge, wie die ursprünglichen Bewohner aus einfacheren Schichten aufgrund der steigenden Mieten immer mehr vertrieben werden. Zur Gentrifizierung kommt die Spekulation. So entstanden in der Ciutat Vella in den letzten Jahren zahllose Wohnungen und Appartments für Touristen, viele davon ohne Lizenz und somit illegal. Und Platzmangel herrscht sowieso: „In meinem Viertel sind 60 Prozent der rund 68.000 Hotelplätze untergebracht, da ist der Kollaps garantiert“, so Reme.

Nicht weit von ihr lebt Manel Nadal, der zwei Appartments für Touristen vermietet, für 90 und 60 Euro die Nacht. Damit verdient er jährlich 25.000 Euro. „Mir hat der Tourismus geholfen“, so Manel ganz pragmatisch. „Klar ist er schädlich, die Mieten steigen, die Läden machen dicht, wir Anwohner erkennen unsere alten Viertel nicht wieder. Aber lasst uns wenigstens unser Geld machen.“ Wie alle Anwohner fordert auch er, dass die Kurtaxe, die jährlich 18 Millionen Euro bringt, in diejenigen Viertel investiert wird, in denen der Andrang der Touristen am größten ist, wie etwa in der Ciutat Vella. Der Dachverband der Hoteliers hingegen glaubt, dass es besser ist, das Geld in Marketingkampagnen zu stecken, damit noch mehr Touristen kommen. Anvisiert sind weitere 2,5 Millionen in den kommenden beiden Jahren.

„Barcelona hat seine Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft“, so ein Manager der Hotelgruppe Barceló, der lieber anonym bleiben will. Seine Gruppe will ihre Präsenz von drei auf sechs Hotels erhöhen. Auch Bürgermeister Xavier Trias ist von der Zukunft des Tourismus überzeugt. Gerade hat er den Grundstein für einen neuen Jachthafen de Luxe gelegt. Die Tatsache, dass Barcelona am Meer liegt, ist heute mehr Fluch als Segen. Zu den Touristen, die mit Billigfliegern die Stadt ansteuern, gesellen sich jährlich 2,5 Millionen Kreuzfahrt-Touristen. Sie konsumieren die Altstadt im Schnelldurchgang. Für die Städteplanerin Zaiz Palou von der Universität in Girona ist klar: „Hier liegt nicht die Zukunft des Tourismus.“

Aus dem Spanischen von Ute Möller