Platzeck, Putin und die Krim

EMPÖRUNGSMODUS Matthias Platzeck von der SPD forderte, die Annexion der Krim nachträglich völkerrechtlich zu regeln, „so dass sie für alle hinnehmbar ist“. taz-Autor Martin Reeh nannte das einen Tabubruch. Darüber regen sich die LeserInnen auf

■ betr.: „Der Tabubruch“, taz.de vom 18. 11. 14

Ob ausgerechnet der Untote des Kalten Krieges, Henry Kissinger, in Fragen internationaler Stabilität eine zitierfähige Autorität ist, wird ja zu Recht angezweifelt. Darüber hinaus, was ist so schlimm daran, wenn ein deutscher Politiker, hier Matthias Platzeck, aus der konsensualen Putin-Beschimpfung ausschert?

Allein schon seine Verniedlichung als Putin-Versteher ist ein Zeichen mangelnder Reichweite der vorgebrachten Argumente. Gerade in den Tagen des Jubiläums des Mauerfalles wären etwas mehr Achtung und Demut gegenüber Moskau angebracht (ich argumentiere nicht realpolitisch, sondern emotional, das weiß ich). Ohne Putins Vorvorgänger Gorbatschow wäre Deutschland nicht friedlich vereint, wären Ungarn, Tschechien, die baltischen Staaten etc. nicht Mitglieder der EU. Sicher, Versprechen binden nur diejenigen, die daran glauben (könnte von Kissinger stammen), aber Gorbatschow ging davon aus, dass die Nato nicht bis an die Grenzen der Sowjetunion respektive Russlands ausgeweitet werde. Und nun, wo genau das passiert? Ist Putin der einzig Böse, weil er sich territorial bedroht fühlt? Und haben die EU, die Nato und die USA keine strategischen Interessen in Sachen Krim und Ukraine?

Wenn man schon intellektuelle Grenzen ziehen möchte, dann solche zwischen zwei schwarzen Engeln. Ich finde, um zum Artikel Martin Reehs zurückzukommen, Matthias Platzecks Äußerungen eher mahnend und deeskalierend, jedenfalls konstruktiver als die jüngsten Ausfälle der Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten. KERSTIN DEMUTH, taz.de

■ betr.: „Der Tabubruch“, taz vom 19. 11. 14

Dass als Zeuge gegen Platzecks besonnene und Europa-selbstkritische Äußerungen zum Ukraine-Konflikt ausgerechnet jener Schlächter Kissinger zitiert wird, der Suharto das amerikanische Plazet zur Besetzung Osttimors und das anschließende Morden Zigtausender linker und liberaler Osttimoresen gab und in Chile Beihilfe zum Sturz einer (im Gegensatz zur ukrainischen nach Janukowytsch und vor Poroschenko) demokratisch gewählten Regierung (und zum Mord an über 3.000 Chilenen) leistete, beweist einmal mehr die geistige Armut und Verzweiflung dieser kalten Krieger.

Da darf natürlich auch nicht der sonst so verpönte Vergleich mit Hitler und seiner „Heim ins Reich“-Politik fehlen. Vollends lächerlich ist die Warnung vor „fundamentalen Verletzungen der Nachkriegsordnungen“ angesichts unserer allzu schnellen Unterstützung und Anerkennung nationalistisch geprägter Abtrennungen von Jugoslawien, die schließlich zum dortigen Aufbrechen der alten nationalistischen Ressentiments und Egoismen und zum Krieg führten.

Nicht lächerlich, sondern nur erschreckend ist jedoch die Tatsache, dass die taz sich der allgemeinen Meinungsgleichschaltung immer mehr angleicht und alles, was vom Mainstream prokapitalistischer und imperialistischer (heute globalisiert genannter) Positionen abweicht, mit übelsten Unterstellungen zu desavouieren versucht.

ALFRED K. WEBER, Herold

■ betr.: „Der Tabubruch“, taz vom 19. 11. 14

In der Antike wurde der Überbringer unpassender Nachrichten geköpft, heute wird, wer Tatsachen ausspricht, die nicht der üblichen verbreiteten westlichen Politikauffassung entsprechen, erbarmungslos niedergebrüllt, ohne dass man sich, leider auch in der taz, ernsthaft mit seinen Argumenten auseinandersetzt. Platzeck hat recht, wenn er feststellt, dass die Politik der westlichen Regierungen, der EU und der USA, über geraume Zeit ohne jede Sensibilität mit den bekannten Interessen Russlands umgegangen ist, ganz zuletzt, als die EU der Ukraine ein Assoziierungsabkommen anbot, obwohl sie gewusst haben muss, wie eine Anbindung der Ukraine an die EU von der Bevölkerung der Ostukraine aufgenommen wird, deren ethnische Verbindung zu Russland sehr eng ist und mehr noch die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland in dieser Region und von der EU gar nicht ersetzt werden kann.

Hier hat man etwas losgetreten, was zu dem jetzigen Schlamassel geführt hat. Und nun möchte man natürlich diese Tatsachen gerne ignorieren und alle Schuld Herrn Putin in die Schuhe schieben. Die Handlungen Putins, der sicher kein Unschuldsengel ist, dienen in erster Linie dazu, sein Gesicht als tatkräftiger Führer Russlands zu bewahren und weitere Demütigungen durch den Westen, wie sie von den meisten Russen empfunden werden, abzuwehren.

Die Krise ist heute nur noch mit allen Beteiligten, das heißt auch mit den Herren aus Donezk und Lugansk, unter Mithilfe von Russland zu lösen, auch wenn es vielen widerstrebt. Insofern hat Platzeck mit seiner Ansicht Mut bewiesen und in vielen Punkten recht: Es fehlt ganz offensichtlich an Russland- und Putinverstehern dieses Kalibers. Was wir nicht brauchen, sind Scharfmacher, die uns sachte in die Katastrophe schlittern lassen und nachher natürlich nicht dafür verantwortlich sein wollen.

DIRK BRAUN, Tangstedt

■ betr.: „Der Tabubruch“, taz vom 19. 11. 14

Man kann, nein man muss, über die angemessene Reaktion des Westens, der EU und Deutschlands auf die Annektion der Krim durch Russland diskutieren (dürfen). Dabei ist aber ein radikaler völkerrechtlicher Rechtspositivismus wahrscheinlich nicht geeignet, die Situation in der Ukraine zu deeskalieren. Und darum sollte es vor allen Dingen gehen.

Die Gleichsetzung der Politik Deutschlands in den dreißiger Jahren unter Hitler mit der Russlands unter Putin ist jedenfalls genauso daneben wie alle anderen Hitlervergleiche, und sie diskreditieren vor allem den Autor selbst.

Der eigentliche Tabubruch ist allerdings, dass sich der Ressortleiter Inland der taz, Martin Reeh, bei seinem Plädoyer für das Völkerrecht auf Henry Kissinger beruft. Dessen Rolle im Vietnamkrieg und bei der völkerrechtswidrigen Bombardierung Kambodschas, seine Rolle bei Pinochets Putsch in Chile, die Unterstützung der Militärdiktatur in Argentinien usw. ist wohlbekannt. Er gehörte nach Den Haag, auf die Anklagebank. Kissinger war ein skrupelloser Machtpolitiker, von dem Putin immer noch weit entfernt ist.

CLEMENS ANTONI, Frensdorf

■ betr.: „Der Tabubruch“, taz vom 19. 11. 14

„Die gewaltsame Besetzung von Gebieten zu legitimieren – und sei es mit Entschädigungszahlungen an die Ukraine – ist dagegen tabu“, schreibt Martin Reeh. Aber eine gewaltsame Machtergreifung und ein Regime Change im Sinne der Amerikaner in Kiew ist okay? Russen dann von der Krim rausschmeißen und dort einen amerikanischen Stützpunkt machen, ist auch okay? Entlang der russischen Grenze Raketen gegen Iran und Nordkorea zu platzieren, ist auch okay? Ist es im Sinne der Nachkriegsordnung, permanent zu rufen: Russe, halte deine Schnauze, du hast nichts zu sagen!? Da hat jemand das fundamentale Prinzip der Sicherheitsordnung in Europa nicht verstanden. Und nicht verstanden: Es ist vorbei. GEORG HECKER, taz.de