Das System ist einfach

Spendenaufrufe für Afrika funktionieren mit Bildern wie diesem hier. Kenge, zwei Jahr alt, ist an grauem Star erkrankt. Durch eine unspektakuläre Operation wird sie endlich wieder sehen können

AUS KINSHASA BERND HARTUNG

Frühjahr 2006, die Demokratische Republik Kongo bereitet sich auf die ersten freien Wahlen vor. Eine Journalistin und ich sind nach Kinshasa gekommen, um die Stimmung vor den Wahlen zu zeigen. In unseren Medien wird von einer flammenden Hölle gesprochen. Bis jetzt habe ich davon noch nicht viel gesehen.

Ich stehe beim Empfang der deutschen Botschaft, wo Journalisten ungezwungen mit den Generälen des Vorauskommandos plaudern können. Es gibt Häppchen und musikalische Tanzeinlagen. Das Personal in weißen Blusen mit schwarzrotgoldenen Applikationen serviert kühles Bier. Die Presseleute tauschen ihre Erlebnisse wie Trophäen untereinander aus: Gestern habe ein Straßenkind den Kollegen eines deutschen Nachrichtenmagazins von hinten angesprungen! Er aber habe sich nur geschüttelt, bis dieses abgefallen sei.

Kenge Belani, ein zweijähriges Mädchen, weiß nichts von diesen Straßenkindern, die das Luxushotel Memling belagern, um für ihren Tagesunterhalt zu betteln. Die Belanis leben in einem festen Verband von Familien, nicht luxuriös, doch auch nicht elend – fehlt es dem einen, so hilft der andere aus.

So gut es eben geht!

Am Morgen nach dem Empfang schickt mich die Christoffel Blindenmission nach Massina, einem der ärmeren Vororte Kinshasas. Sie hat dort Hunderte von Freiwilligen verpflichtet, um Kinder wie Kenge zu finden. Es geht um Blindheit. Viele Kinder werden mit grauem Star geboren, ihre Lebenserwartung sinkt dadurch rapide. Die Lösung des Problems ist ganz einfach. In Deutschland wird Geld gesammelt, mit dem man Material beschafft und kongolesische Ärzte ausbildet, die die blinden Kinder dann operieren. Ich bin Teil dieses einfachen Systems, ich soll die Bilder von Kenge Belani machen, um den Spendern im Ausland zu zeigen, was im Kongo passiert. Ich werde festhalten, wie Kenge von zu Hause in die Klinik gebracht, untersucht und hoffentlich auch geheilt wird. Alles in Begleitung eines freiwilligen Helfers der Mission.

Seit zehn Tagen stehe ich in Kontakt mit der Leiterin des Projekts Elikya, zu Deutsch Hoffnung. Ich bilde mir ein, gut auf den Auftrag vorbereitet zu sein, obwohl ich kein Französisch spreche. Ein Wagen bringt mich nach Massina. Abseits der Hauptstraße eine ruhige Gegend mit Lehmhäusern. Eine Frau begrüßt uns freundlich. Juliane Ngoma, die Mutter von Kenge Belani. Nach kurzer Unterhaltung klären mich meine Begleiter auf: Ein Todesfall in der Verwandtschaft einer der Helfer legt meinen Plan lahm. Alle Helfer aus dieser Gegend sind bei der Beerdigung. Innerlich koche ich: Können die sich nicht einmal an Abmachungen halten! Ich versuche, den Job noch irgendwie zu retten und eben eine andere Operation zu fotografieren, denn auch mein System ist ganz einfach: Ich lebe vom Fotografieren. Keine Bilder, kein Geld.

Doch in der Klinik gibt es heute keine OP, diese hätte man Tage zuvor vorbereiten müssen. Ich stimme also ein in den Chor der pauschalen Vorurteile über den Schwarzen Kontinent. Wir sagen, wie es läuft, und die wollen uns nicht verstehen. Wir bemühen uns, zu helfen, und die tun nicht mal etwas dafür, dass ihnen geholfen werden kann. Ich erinnere mich an einen Freund, der nach zwei Jahren Klinikleitung in Nigeria entnervt nach Deutschland zurückgekommen war. Das unterstützt mich in dem Bestreben, meine eigenen Fehler in der Vorbereitung leichter zu vergessen.

In der Augenklinik angekommen, treffe ich einen englischen Arzt, der das Haus mit aufgebaut hat, internationale Projekte koordiniert und heute meistens in Nairobi lebt. Ich klage ihm mein Leid, und er versteht sofort, was ich brauche. Innerhalb einer halben Stunde diktiert er allen Beteiligten einen minutiösen Plan für den folgenden Tag. Die Stimmung ist eisig. Der weiße Fotograf hat Macht ausgeübt. Am nächsten Tag wird Kenge Belani an beiden Augen operiert.

Vier Monate später bekomme ich eine Mail der Projektleiterin: Kenges Sicht ist gut. Sie kann bereits über einen Umkreis von zwei Metern hinaus sehen. Die Operation ist nicht das Ende ihrer Behandlung. Durch gezielte Rehamaßnahmen in den folgenden zwei Jahren kann sich Kenges Sehvermögen weiterhin steigern.

BERND HARTUNG, Jahrgang 1967, ist freier Fotograf und lebt in Berlin