Zahm oder wild

Dussmann-Situationen

Bei Dussmann gerate ich regelmäßig in einen Zustand, den Jens Friebe in seinem Buch „52 Wochenenden“ sehr schön beschreibt. Lösen sich Friebes sämtliche Ausleihvorsätze beim Betreten einer Videothek schlagartig in Luft auf, erfasst mich im prall gefüllten Kulturkaufhaus eine ähnliche Leere. Eben wusste ich noch, welches Buch ich kaufen, welche Platten ich anhören wollte. Kaum bin ich drin: totale Willenlosigkeit. Manchmal halte ich sogar Ausschau nach Denis Scheck, der, so geht das Gerücht, hier Unschlüssige mit Lesetipps überfallen soll. Getroffen habe ich ihn aber noch nie.

Stattdessen klingelte das Handy, wie ich, wieder mal benebelt vom Lachgas aus der Klimaanlage, über den Belletristik-Neuerscheinungen döste. Rainer war dran und erzählte aufgeregt, der von ihm verehrte Ausnahmepianist Lang Lang halte in diesem Augenblick bei Dussmann eine Signierstunde ab, ob ich ihm nicht ein Autogramm besorgen könnte. Woher weißt du, dass ich hier bin, wollte ich fragen. Der Einfachheit halber sagte ich „Klar!“ und steuerte mechanisch auf eine Menschentraube im Lichthof zu. Tatsächlich saß dort der Pianist und verzierte mit seiner Unterschrift gerade einen iPod. Als ich an der Reihe war, hielt ich ihm mangels iPod eines der Bücher aus meinem Einkaufskorb hin, dessen Autor mir, wie ich bei der Gelegenheit merkte, vollkommen unbekannt war. Noch erstaunlicher als mein unkritisches Konsumverhalten erschien mir momentan die an den Pianisten gerichtete Frage eines Herrn im Kampfanzug direkt vor mir: „Ich chabe nur gefunden Bucher uber zahmes Lowen, bitte, wo finde ich Bucher uber wildes Lowen?“ Das ist doch mal ein Anliegen, dachte ich vage, wenn auch an die komplett falsche Adresse. SASCHA JOSUWEIT