SPORTPLATZ
: Buhrufe und Beleidigungen

FUSSBALL Union Berlin beschert den Fans gegen München 1860 eine bittere 1:4-Heimniederlage. Die Mannschaft ließ sich beliebig auskontern

Es war nur noch zum Weglaufen. Man erlebt es bei Union Berlin nicht oft, dass die Fans schon scharenweise vor dem Abpfiff den Heimweg antreten. Am Samstag aber, als die Anhängerschaft miterleben musste, wie die heimischen Roten vorne Chancen vergaben, die für eine zweistellige Trefferzahl hätten reichen können, und sich hinten nach einfachen Fehlern von den Hellblauen spielerisch leicht austanzen ließen – ja, da wäre es vielleicht wirklich besser gewesen zu gehen.

Nach dieser heftigen 1:4-Niederlage seines Teams gegen 1860 München wäre vielleicht auch Union-Trainer Norbert Düwel besser davongelaufen. Aber Fußball findet nicht im Konjunktiv statt, und so blieb Düwel im Stadion, hörte sich Buhrufe und Beleidigungen an und zeigte den ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Tribüne. „Das ist aus den Emotionen heraus passiert. Es tut mir leid, das darf nicht passieren“, sagte der 46-Jährige später. Er sei „persönlich und weit unter der Gürtellinie“ beleidigt worden.

So bitter diese Heimniederlage am Samstag gegen den Gast aus Bayern war, so sorgte sie auch für einige Gewissheiten. Dass Union in dieser Saison nur gegen den Abstieg spielt und vorerst keine hehren Ziele verfolgen kann, dürfte dem Letzten klar geworden sein (das Team ist auf Rang 15 abgerutscht). Dass die sportliche Leitung zumindest angezählt ist, nun wohl auch.

Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Fans gespalten sind in der Frage, ob man Trainer Düwel, der gerade fünf Monate im Amt ist, noch Zeit geben sollte: Einige Anhänger skandierten „Düwel raus“, nachdem das 0:4 fiel – Teile der Ultras überstimmten sie mit Gesängen. Die spätere Geste des Trainers dürfte die Debatte unter den Fans erneut anheizen. Die sportliche Krise kommt zu einem Zeitpunkt, wo der Verein doch zumindest finanziell so gesund wie nie ist: Noch bei der Mitgliederversammlung in der vergangenen Woche hatte man ein Geschäftsjahr mit Rekordumsatz (27, 3 Millionen) und Gewinn (610.000 Euro) gefeiert.

„Wir können uns nur bei den Fans entschuldigen“, sagte auch Sebastian Polter, einziger Union-Torschütze an diesem Nachmittag, nach der Partie, „wir haben zu spät losgelegt.“ In der Tat, es war ein zweigeteiltes Spiel: Bis zum 0:4 erlebten die 19.026 Zuschauer in der Alten Försterei, wie sich ihre Mannschaft nach individuellen Fehlern beliebig auskontern ließ – eines der wesentlichen Mankos des Düwel-Teams in dieser Saison. Ein Fehlpass von Christopher Trimmel führte nach einem flotten Spielzug zum 1:0 durch Daniel Adlung (9.), ein Stellungsfehler zum 2:0 durch 1860-Stürmer Rubin Okotie (39.) – der Elan, mit dem die Köpenicker in die Partie gingen, war schnell dahin.

Ebenso schnell dahin waren die Hoffnungen in Halbzeit zwei: Erst lud Fabian Schönheim mit katastrophalem Zweikampfverhalten Okotie zu dessen zweitem Treffer ein (46.), die nächste Offerte zum Toreschießen machten wenige Minuten später Adlung und dessen Mitspieler Valdet Rama, die das vierte Tor in Koproduktion erzielen durften.

Als nur noch die Fans auf der Waldseite in der Alten Försterei unermüdlich ihr Team anfeuerten und „Aufwachen! Aufwachen!“ riefen, fing Union doch noch an, Fußball zu spielen. Erst sorgt Polter nach einem Angriff über links für den Anschlusstreffer, ehe die Roten sich Chance um Chance erspielten, um sie im Minutentakt zu vergeben. Christopher Quiring verschoss einen Elfmeter, den sein Team glücklich zugesprochen bekam (61.), auch den Nachschuss von Maximilian Thiel parierte 1860-Keeper Stefan Ortega, der zum stärksten Mann auf dem Platz wurde. Thiel und der eingewechselte Björn Jopek hätten beide gleich doppelt treffen können. Für Union wäre tatsächlich noch was drin gewesen. Wäre, wohlgemerkt. Konjunktiv.

Auf dem Papier standen für die Köpenicker am Ende 21 Torschüsse (München: 8), etwa zehn hochkarätige Chancen und zwölf Ecken (München: 1) – aber in belastbaren Zahlen las sich das Ganze etwas anders: 1 mageres Tor, 0 Punkte, 1 Mittelfinger, (mindestens) 2 Entschuldigungen.

Letztere zumindest hatten die, die so früh davongelaufen waren, verpasst. JENS UTHOFF