Nur nicht tiefste Stelle werden

Die aktuellen Bremer Deichhöhen stammen von 1959. Immerhin. Ohne diesen Schutz würde die Stadt zweimal am Tag bis zum Bahnhof geflutet. – Eine Erkundung des Handlungsbedarfs vom Wasser aus

Von Felix Zimmermann

Es geht, etwas vereinfacht, ums Wetter bei dieser Bootsfahrt auf der Weser. Und insofern ist es passend, dass einige der Passagiere noch fehlen, als es eigentlich losgehen soll. Es regnet, es ist ungemütlich, für einige ist das vielleicht der Grund, der Rundfahrt fernzubleiben. Aber eben darum geht es doch, dass es noch sehr viel ungemütlicher hier draußen werden könnte. Da dürfen die paar Tropfen nun wirklich nicht stören.

Die Stadt, das Wetter und – ja, was eigentlich? Die Flut wegen abschmelzender Polkappen? Die ewig sengende Sonne? Keiner weiß es so genau, aber etwas wird kommen. Schlimm wird es sein. Und ist nicht der Dauerregen im Sommer schon ein Zeichen davon? Der Klimawandel droht, und „das Land Bremen ist in besonderer Weise davon betroffen“, stand in der Einladung des „Artec“, des Forschungszentrums für Nachhaltigkeit der Universität Bremen. Experten sind an Bord, die über Herausforderungen sprechen, die auf das Land zukommen.

Das heißt, dass in erster Linie die Deiche höher gebaut werden müssen. Der alte Spruch macht die Runde: „Well nich will dieken, de mutt wieken“, sagt Wilfried Döscher, Geschäftsführer des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer. Da schippert das Boot gerade an der Schlachte vorbei. Döscher zeigt, wie die Deichoberkante hin- und herspringt, wie sie dem Fluss teilweise ganz nahe kommt. Es muss diese Durchbrüche geben, die Stadt lebt mit dem Fluss, zugleich sind sie gefährlich. Wenn das Wasser steigt, dringt es an den tiefen Stellen in die Stadt. Gäbe es keine Deiche, stünde Bremen zweimal am Tag weitgehend unter Wasser, sagt Döscher, bei Flut würde es bis zum Nordausgang des Hauptbahnhofs reichen.

Die jetzigen Deichhöhen stammen von 1959. Das reicht schon bald nicht mehr. Die Flut wird kommen, die das übersteigt, und sie wird öfter kommen. Der Generalplan Küstenschutz für die Nordseeküste und Bremen sieht vor, dass die Deiche um einen Meter erhöht werden müssen – und dabei ist der Klimawandel noch nicht einmal berücksichtigt. Den Radfahrer, der sich da an der Schlachte durch Wind und Regen kämpft, wird man vom Fluss aus nicht mehr sehen, so hoch wird die Mauer sein müssen. Größtes Problem ist die Finanzierung, sagt Döscher, „man rechnet mit 110 Millionen Euro für Bremen und Bremerhaven“. Niedersachsen hat ein Drittel seiner Deiche bereits erhöht. Die haben es leichter, sagt Döscher, weil es Erddeiche sind. Döscher mahnt zur Eile: „Bremen muss die Hacken in den Teer hauen, damit wir hier nicht zur tiefsten Stelle werden.“ Spundwände erhöhen, Betonkronen aufsetzen, den Fluss fernhalten. 2009 soll am Bunker Valentin begonnen werden.

Vor dem zugeschütteten Becken des Überseehafens: Jetzt redet Thomas Lecke-Lopatta, im Bausenat zuständig für Flächennutzungspläne. Er kommt aus Oberbayern, man hört es ihm nicht an, aber er merkt es, wenn er auf Bremens Dächer blickt: “Im Süden gibt es kaum ein Haus ohne Solarzellen. Wer keine hat, wird vom Nachbarn schief angekuckt“, sagt er. Aus den Reihen der etwa 40 Passagiere ruft jemand: „Weil die da Sonne haben“, und vielleicht ist es das Gefühl, hier tatsächlich in einem Regenloch zu wohnen und sich deshalb keine Solaranlage aufs Dach setzen zu müssen. „Nein, nein“, ruft ein anderer, „Sonne ist hier genug, die können auch wir viel mehr nutzen.“

Lecke-Lopatta, man muss es klar sagen, sieht in den Bremern Energiesparmuffel. Sie richten ihre Häuser nicht nach Süden aus, dämmen ihre Wände nicht und haben auch sonst kaum Interesse daran, bei sich anzufangen. Im Überseehafen, immerhin, soll das zukünftige EWE-Hochhaus mit Fernwärme geheizt werden, „das ist schon mal was“, sagt Lecke-Lopatta, aber es fehle in Bremen an einem großen Vorzeigeprojekt, das andere mitziehe: „So wie der Foster in London baut, mit ganz hoher Energieeffizienz.“ Lecke-Lopatta sieht es kommen, dass das Kohlekraftwerk gebaut und die Abwärme in die Luft geblasen oder in die Weser geleitet wird. „Damit hätte ich ganz große Probleme, wenn die Abwärme nicht genutzt wird. Wir könnten Gewächshäuser in die Werder-Wiesen stellen und in der Wärme Tomaten züchten“, sagt er. Hauptsache, man macht was mit der Abwärme.

Jetzt ist Anne Schierenbeck, Energiereferentin des BUND, an der Reihe: Sie hat ein Holzgestell mit an Bord genommen, in das sie höchst unterschiedlich lange Leisten steckt: Die Längste steht für Stromerzeugung aus Kohle, 73 Prozent, alle anderen Hölzchen sind kurz, die Energiequellen also vergleichsweise ungenutzt. Die erneuerbaren Energien kriegen eine Mini-Leiste: weniger als zwei Prozent. Schierenbeck plädiert für Blockheizkraftwerke, weil die „viel sparsamer sind und da gebaut werden, wo man die Energie braucht“. Es sei noch Zeit für Zukunftskonzepte im Energiesektor, sagt Schierenbeck. Und: Die SWB könnte sogar Vorreiter werden, sagt sie.

Da hat das Boot fast wieder am Martinianleger fest gemacht. Gerade noch Zeit für die Schlussplädoyers: Umweltschutzkriterien müssen beim Hausbau erfüllt werden, und zwar dutzendfach wie in einigen US-Bundesstaaten längst üblich, sagt Günter Warsewa von der Universität Bremen. Schierenbeck fordert die rot-grüne Koalition auf, endlich Ziele für die CO2-Verringerung zu setzen. Deichbauer Döscher schließt mit Brecht: „Es ist besser, Deiche zu bauen, als auf die Vernunft der Flut zu vertrauen.“ Der Regen hat nachgelassen. Seit Jahrhunderten trotzt die Martinikirche Wind und Wetter. Noch halten die Deiche.