VON DEUTSCHER SITTE
: Vergasen

Das Bier hieß „Blond“, schmeckte aber farblos und war lauwarm

Eigentlich hatten wir gerade gehen wollen. Wir hatten Stunden vor der neuen Boutique gestanden, die heute, hier im Gentrifizierungsviertel, eröffnet wurde und den schönen, vielleicht ein wenig zu sehr an die Weserstraße angelehnten Namen „Wesen“ trug. Boutique, Klamottenladen, oder eben „Showroom“, klar, war ja Modewoche oder Butterstulle oder sonst ein Modeereignis in der Stadt, das man bis hierhin spürte.

Jedenfalls, wir hatten lässig da gestanden und das Bier aus dem Showroom getrunken, das den schönen Namen „Blond“ hatte, aber leider farblos schmeckte, noch dazu lauwarm war, obwohl die hübsche Schwester der Showroombesitzerin eigenhändig die kältesten Flaschen aus dem Stehkühlschrank geholt hatte. Sie hatte eines von den Kleidungsstücken an, die hier zu bestaunen und auch käuflich zu erwerben waren, eine Art Blusensack in modischem Türkis, wie überhaupt die meisten Klamotten hier in türkis gehalten waren, was aussah, als ob jemand eine starkblaue Hose unter die Weißwäsche gemischt hatte. Jedenfalls, wir wollten gerade gehen, der Späti International hatte das Geschäft des Jahres verpasst, weil die Betreiber wohl gerade Heimaturlaub machen, dafür hatte das „Holz und Kohlen“ gegenüber clever Stühle nach draußen gestellt und profitierte von denen, die kaltes, nicht handwarmes Bier trinken wollten.

Wir wollten aufbrechen, als ein junger, blonder Mensch kam, der Tabak schnorrte und eine unglaubliche Kiezgeschichte erzählte, die von einem Hausmeister handelte, der Parterre wohnte und den Nachbarn über ihm hasste und ihn wohl nicht anders zu vertreiben wusste als mit Gas. Also bohrte er Löcher in die Zwischendecke, stellte Gasflaschen unter die Löcher und ließ Gas ab. Passiert ist zum Glück nichts, irgendwann kam die Polizei und nahm den Mann fest. Wir sind dann endlich auch gegangen.

RENÉ HAMANN