60 Deutsche für den IS gestorben

TERROR Die Zahl deutscher Dschihadisten, die in den Irak und nach Syrien ausgereist sind, hat laut Verfassungsschutzchef Maaßen in den letzten Wochen stark zugenommen

Es gibt große Unterschiede zwischen den Ausgereisten“

TERROREXPERTE GUIDO STEINBERG

VON SABINE AM ORDE

Der Erste soll Robert B. aus Solingen gewesen sein: Der 26-Jährige soll sich Anfang des Jahres in Syrien in die Luft gesprengt und laut Kampfgefährten 50 Menschen mit in den Tod gerissen haben. Inzwischen geht der Verfassungsschutz davon aus, dass sich mindestens neun Deutsche als Selbstmordattentäter für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien und im Irak das Leben genommen haben.

Insgesamt sollen mindestens 60 deutsche IS-Kämpfer gestorben sein. Das sagte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen der Welt am Sonntag. Mittlerweile seien mindestens 550 Islamisten aus Deutschland nach Syrien und in den Irak gereist, um dort für den IS zu kämpfen, so Maaßen weiter. „Das ist ein trauriger Erfolg für die islamistische Propaganda.“ Damit erhöhte Maaßen die bislang bekannten Zahlen deutlich. Vor wenigen Wochen war sein Behörde noch von 450 Kämpfern aus Deutschland ausgegangen. Gerade in den letzten sechs Wochen sei die Zahl weiter angestiegen, so Maaßen.

Der Terrorexperte Peter Neumann teilt Maaßens Einschätzung. „Das ist eine realistische Zahl“, sagte Neumann der taz. „Das deckt sich mit unseren Beobachtungen.“ Mit seinem Institut am Londoner King‘s College beobachtet er die Entwicklung in ganz Europa. Die Dunkelziffer könne in den meisten Ländern leicht über den offiziellen Zahlen liegen– rund 20 Prozent, schätzt Neumann.

Aus Frankreich sollen bislang 1.000 Menschen nach Syrien und in den Irak ausgereist sein, um dort im Dschihad zu kämpfen. Sie bilden - in absoluten Zahlen - die größte Gruppe aus Westeuropa, dann folgen Briten und Deutsche. Setzt man die Anzahl der Ausreisen aber ins Verhältnis zur Bevölkerung, liegt Belgien mit 300 Ausreisen ganz vorn.

Von den deutschen Kämpfern sollen laut Verfassungsschutzchef Maaßen inzwischen 180 wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Sie machen dem Verfassungsschutz Sorgen, zumal sie nicht alle rund um die Uhr bewacht werden könnten, wie er einräumt.

Auch Guido Steinberg, Terrorexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, hält die Zahlen des Verfassungsschutzes für realistisch: „Ich denke, dass das schlüssig ist.“ Die höhere Anzahl ginge sicher auch auf Material zurück, welches die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Wochen bei einer ganzen Reihe von Festnahmen und Durchsuchungen gefunden hätten. „Die, die ausreisen, sind keine einheitliche Gruppe“, gibt er aber zu bedenken. Es gebe große Unterschiede: „Manche sind hartgesottene Kämpfer, andere waren lediglich im Grenzgebiet.“ Das gelte auch für die Rückkehrer.

Die deutschen Kämpfer als Selbstmordattentäter vor Ort einzusetzen habe für die IS-Milizen bisher Priorität. Steinberg erinnert aber daran, dass der IS in seiner Propagandazeitschrift auch Deutschland schon zum Anschlagziel erklärt habe. Auch Maaßen sagt: „Wir sollten uns darauf einstellen, dass Anschläge auch bei uns passieren können, auch wenn wir natürlich alles tun, um das zu verhindern.“