Baumfreunde kriegen Oberwasser

Im Streit über die Bäume am Landwehrkanal isoliert sich das Schifffahrtsamt immer mehr: Selbst der eigene Gutachter hält Fällungen nun für unnötig. Doch das Amt setzt weiter auf Kahlschlag. Heute debattiert der Verkehrsausschuss über den Fall

VON VEIT MEDICK

Vor vier Wochen sollten 200 Bäume dran glauben. Wenig später, unter dem Druck der Bürgerinitiative „Aktionsbündnis Bäume am Landwehrkanal“, waren es noch 41. Und am Samstag fielen dann im Kreuzberger Rathaus die Sätze, die die Baumschützer vom vollständigen Erhalt des Bestands träumen lassen: Natürlich, gestand der Gutachter vom Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) ein, theoretisch könne man die Bäume auch sichern. Kaputt seien ja schließlich nicht sie, sondern allein das Mauerwerk am Ufer des Landwehrkanals.

Einen besseren Motivationsschub hätte die vierstündige Bürgerversammlung nicht bringen können. Dabei hatten die fünf Vertreter des WSA die rund 250 erschienenen Kreuzberger eigentlich von der Unvermeidlichkeit des Fällens überzeugen wollen. Nur durch diese Ad-hoc-Maßnahme, die heute auch den Verkehrsausschuss im Abgeordnetenhaus beschäftigen wird, könne man den seit zehn Tagen auf elf Kilometern gesperrten Landwehrkanal für die Fahrgastschifffahrt wieder öffnen und Unfälle vermeiden.

In der Versammlung sollte der seit vier Wochen anhaltende Bürgerprotest von der WSA gebrochen werden. Etwa mit einem Taucherfilm, der in aller Dramatik die katastrophalen Zustände der Uferbefestigung verdeutlichen sollte. Oder mit einer mathematischen Präsentation, die durch Wurzelkohäsionen, Gleitkreise und statische Nachberechnungen das beweisen sollte, was WSA-Chef Hartmut Brockelmann mit „akuter Gefahr für Leib und Leben“ umschrieb.

Doch die naturwissenschaftliche Zermürbungstaktik ging nicht auf. „Sie haben sich drei Jahrzehnte Zeit gelassen“, schrie ein junger Mann unter dem tosenden Beifall seiner MitstreiterInnen, „und jetzt sollen die Bäume von einem Tag auf den anderen gefällt werden?“ Überhaupt sei ja die Berechnung völlig falsch, rief ein anderer. Statt ein abstraktes Muster zur Grundlage zu machen, hätte man doch Tief- und Flachwurzler unterscheiden müssen. „Eine Einzelbaumbetrachtung ist das nicht“, kritisierte auch der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, einer von vielen PolitikerInnen im Saal. Genau darauf hatte man sich am Donnerstag am runden Tisch geeinigt. Auch wollte niemand so recht das Argument gelten lassen, Leib und Leben seien in Gefahr, wenn zwar der Kanal gesperrt ist, die angrenzenden Straßen aber weiter begehbar sind.

Trotz des immensen Drucks, der den Amtsvertretern sichtbar zu schaffen machte – auf eine Zusicherung, vom Fällen der Bäume zunächst abzusehen und alternative Sicherungsmöglichkeiten gutachterlich prüfen zu lassen, wollte sich WSA-Chef Brockelmann nicht einlassen.

Am Abend vertagte sich eine Fachrunde aus Gutachtern, Experten, Betroffenen und Verantwortlichen auf heute früh. Dann wird wohl auch ein überraschender Vorschlag von Ströbele diskutiert werden. Ihm war aufgefallen, dass nur zwei der kritischen Bäume gestützt werden müssten, um eine 3,5 Kilometer lange Touristenstrecke zwischen Spree und Urbanhafen für Schiffe freimachen zu können. Anschließend würde ein Gutachter prüfen, wie man die restlichen Bäume möglichst schnell absichern kann.

Wie die WSA-Entscheidung letztlich aussieht, scheint den meisten AktivistInnen aber ohnehin gleichgültig zu sein. Ein Fällen könne sich die Behörde in jedem Fall abschminken, hieß es nach der Sitzung. „Wir werden auf den Wipfeln sitzen“, betonte Bündnissprecher Arno Paulus.