In den Sand gesetzt

FUSSBALL-EM Das neue Nationalstadion in Warschau darf besichtigt werden, aber bei anderen Großprojekten hakt es gewaltig

WARSCHAU taz | Für die Warschauer war es ein großer Tag. Das neue Nationalstadion öffnete am Sonntag zum ersten Mal seine Tore. In einem Jahr, am 8. Juni 2012, soll hier die Fußball-EM angepfiffen werden. Noch ist das Stadion eine Baustelle. Es riecht nach Farbe und frischem Zement. Die Tribüne ist immerhin schon fertig. Und etwa 70 Meter über dem künftigen Spielfeld schwebt auch schon das an Stahlseilen aufgehängte Rondell, von dem aus das Dach wie ein Schirm über das Stadion aufgespannt werden kann.

Eigentlich sollte das Stadion bereits am 6. September mit einem Testspiel Deutschland gegen Polen offiziell eingeweiht werden. Doch die Bauaufsicht machte den Planern einen Strich durch die Rechnung: Die Fluchttreppen seien instabil und könnten unter der Last Tausender Fans zusammenbrechen. Zunächst hieß es „Abriss und Neubau“, doch inzwischen haben die Architekten eine andere Lösung gefunden. Die Treppen werden mit einer Stahlkonstruktion zusätzlich gestützt. Das Test- und Freundschaftsspiel wurde kurzerhand in die ebenfalls neue Arena nach Danzig verlegt. Die Warschauer nahmen es gelassen hin. Denn am 9. Juni lockte das eigentlich für die Arena in Danzig geplante Testspiel Frankreich gegen Polen Fans ins Warschauer Legia-Stadion. Auch in Danzig war es zu Bauverzögerungen gekommen. Für die Polen ist letztlich am wichtigsten, dass alle Stadien für die EM 2012 rechtzeitig fertig werden: Posen, Danzig, Breslau und Warschau

Mehr Sorgen als die Stadien bereitet den Polen aber die Infrastruktur. Ob alle Bahn- und Straßenverbindungen zwischen den vier polnischen Austragungsorten wie auch über die Grenze zu den vier ukrainischen Spielstätten rechtzeitig fertig werden, steht in den Sternen. Zuletzt musste Polens Regierung eine schwere Schlappe einstecken, als das chinesische Bauunternehmen Covec aufgeben musste. Covec sollte rund 50 Kilometer der West-Ost-Autobahn A2 bauen, hatte sich aber finanziell übernommen und konnte seine polnischen Subunternehmer nicht mehr bezahlen. Jetzt muss die Trasse neu ausgeschrieben werden. Auf dem lehmig-roten Erdwall, der sich seither durch Polens Landschaft zieht, werden die Fans aus Westeuropa nicht anreisen können.

Auch bei der Bahn gibt es Probleme. Wegen der alten Gleise fahren viele Züge nicht schneller als 30 km/h. Baustelle reiht sich an Baustelle auf dem Weg zu allen Austragungsorten. So dauert die Bahnfahrt von Warschau nach Danzig zurzeit rund sieben Stunden. Doch bis zum Anpfiff könnten die Trassen fertig werden. Neue Züge sind auch bestellt. Zurzeit fahren auf den meisten Strecken noch die alten Stinkezüge, aber pünktlich zur EM könnten dann die neuen Züge durchs Land brausen.

Sicher ist allerdings schon, dass die neue Metro-Linie in Warschau, die eigentlich vom Zentrum unter der Weichsel hindurch zum Stadion führen sollte, nicht rechtzeitig fertig wird. Theoretisch sind es nur drei Stationen, aber das Terrain ist schwierig: erst Fließsand, denn die stark abfallende Warschauer Felsböschung an der Weichsel, schließlich unter der Weichsel hindurch bis zum Stadion auf der anderen Seite. Immerhin gibt es aber schon neue Busse und Straßenbahnen. Mit denen kommen die Fans auch zum Stadion. Oder zu Fuß über eine der Weichselbrücken. GABRIELE LESSER