Barbra durchs Opernglas

18.000 Leute sahen in Berlin den Mann, den Pudel, den Schmuck und auch das Konzert von Barbra Streisand

Kurz nach zehn, eine gute Viertelstunde nach der Pause, 18.000 Männer und Frauen ohnehin schon verzaubert, rief einer in einem Moment wacher Stille einen verzweifelt berührenden Satz: „Barbra, I love you!“ – und sie, Barbra Streisand, die sich längst ihrer steilen Pumps entledigt hatte und barfuß sang, erwiderte sacht, scheu beinah, mit einer feinen Armbewegung in des Rufers Richtung: „Thank you … and … I can feel it.“

Das war die Sekunde, in der die letzten Skeptiker, die sich gefragt haben mochten, ob das Eintrittsgeld bis zu 500 Euro gelohnt haben würde, begütigt waren. Barbra Streisand in Berlin! In der Waldbühne. Als ob nicht das schon eine bezaubernde Ironie war: Ausgerechnet die politischste unter den jüdischen Amerikanerinnen aus dem Entertainmentfach stellt sich ins Rund dieser Nazianlage. Das war keine Geste der „Versöhnung“, wie der delirierend-dümmliche Kommentar in den „Tagesthemen“ lautete, sondern allenfalls ein Triumph über braunen Wahnsinn. Der ist beerdigt, aber sie singt in dessen Theater: „Somewhere“, „People“ oder „Papa, Can You Hear Me?“

Die Streisand – in dieser Publikumsarena präsent, als sei sie in einem Club und dessen Gäste beste Freunde. Plaudereien so nebenbei, erfahrend, dass sie gern Süßigkeiten isst und Buletten, Currywurst wie Döner Kebab gekostet habe. Berlin sei eine „wonderful“ Stadt, die lange auf sie habe warten müssen: „Danke, dass ihr gewartet habt.“ Das Auditorium nahm es gern für echt, so war es ja vielleicht auch.

Und auch dies war zu bestaunen: dass ihre Stimme dunkler geworden ist, etwas grieseliger in den Höhen, wärmer zugleich, immer noch mit guter Kraft. Sie sitzt, diese Stimme, weil sie ihren Stoff draufhat.

Ihr Körper? Wunderschöne Beine unter Abendkleidern, die ihre Oberweite lustvoll betonten, das Gesicht älter geworden, fast noch schöner als einst, die Haare blond und glatt auf die Schulter fallend, die Fingernägel makellose Beispiele feinster Maniküre im French Style. Sie trug gar echten Schmuck, wie einige Gäste ihrer Performance kennerisch mit Opernglas bemerkten!

Monströser Applaus, besonders, als ihr Pudel zu ihr auf die Bühne trottete – gefolgt von ihrem Gatten James Brolin, der ihr eine Torte (Wackelpudding?) zum neunten Hochzeitstag überreichte. Tränen des Glücks auf den Rängen. Es war, als ob die reiche Oma aus Amerika endlich mal ihre Verwandten in Europa besucht – und die begreifen, dass sie keine kalte Geldhexe ist.

JAN FEDDERSEN