TARIFSTREIK BEI DER BAHN ZEIGT GRUNDPROBLEME DER GEWERKSCHAFTEN
: Lokführer verdienen mehr

Streikende Bauarbeiter in Niedersachsen oder Daimler-Beschäftigte mit wehenden Metaller-Fahnen? Vergessen Sie es. Die heute beginnenden Arbeitsniederlegungen bei der Bahn haben ein ganz anderes Niveau. Denn vom Bahner-Streik sind Millionen betroffen, deren Züge entweder gar nicht oder mit Verspätungen fahren werden. Und der Tarifkonflikt verspricht gewaltige Ausmaße anzunehmen. Schließlich kämpft da nicht nur eine Gewerkschaft für mehr Geld, sondern gleich deren drei. Die Frage, ob die Tarifforderungen der Arbeitnehmer auch berechtigt sind, ist dabei müßig. Verkehr und Logistik gehören zu den Boom-Branchen im derzeitigen Wachstums-Deutschland, das zeigen auch die steigenden Gewinne der Bahn AG. Wenn die Beschäftigten ihren Anteil an diesem Sahnekuchen verlangen, dann entspricht das nur den Gesetzen des Marktes.

Zugleich bestätigt der Bahner-Streik eine Tendenz zur Zersplitterung auf Kosten der alten Einheitsgewerkschaften. Da verlangt die Gewerkschaft der Lokführer gleich 31 Prozent mehr Lohn, während sich Transnet und GDBA mit 7 Prozent begnügen wollen. Ähnliche Verhältnisse gab es zuletzt in der Luftfahrtbranche. Erst kämpfte Cockpit für die Piloten, später UFO für Flugbegleiter um wesentliche bessere Gehälter, als dies Ver.di vertrat. Die Logik war dort dieselbe wie heute bei der Bahn: So wie Piloten und Kabinenpersonal angesichts des Luftfahrtbooms händeringend gesucht sind, so besteht bei der Bahn derzeit ein eklatanter Mangel an Lokomotivführern. Ihre Vertreter haben verstanden, dass der Kapitalismus nicht nur Gutes für die Kapitalisten bedeuten kann. Ein gesuchtes Produkt steigt im Preis – ebenso kann ein gesuchter Job-Inhaber seinen Preis erhöhen. Den großen Gewerkschaften gelingt es nicht, diese Sonderinteressen bestimmter Berufe zu berücksichtigen. Also verlieren sie Mitglieder und Einfluss.

Abgesehen davon haben Lokführer allen Grund für ihre Forderung. Ihr Job verlangt hohe Verantwortung und Konzentration. Ständige Wechselschichten belasten die Gesundheit und trüben die Freizeit. Warum eigentlich sollen Flugkapitäne das Mehrfache gegenüber den Kollegen auf der Schiene verdienen? KLAUS HILLENBRAND