„Ich bin kein Anarchist“

VORTRAG In Bremen wird darüber diskutiert, wie die Kinder am besten die Rechtschreibung lernen

■ war bis 2012 Professor für Erziehungswissenschaft an der Uni Siegen. Von 1980 bis 1993 war er Professor für Anfangsunterricht in Bremen.

taz: Was ist denn zeitgemäßer Rechtschreibunterricht, Herr Brügelmann?

Hans Brügelmann: Traditionell war das ein Diktatunterricht, das passte gut in eine Zeit, in der im Berufsleben viel diktiert wurde. Da konnte man einen festen Wortschatz üben. Heute sind in Schule und Beruf eigene Texte zu verfassen. Das ist wichtig, wenn es um Teilhabe geht, privat und beruflich. Da ist es sinnvoll, dass die Schüler lernen, wie man Schreibweisen ableitet oder wo man sie nachschlägt.

Aber ist es für die Rechtschreibung nicht relativ egal, was für einen Text man schreibt?

Nein. Gerade in den eigenen Texten taucht eine solche Breite an Wörtern auf, dass die Schule unmöglich umfassend darauf vorbereiten kann. Da können wir nicht mehr allgemein einen festen Wortschatz vorschreiben. Die Schule muss also darauf vorbereiten, wie man auch unbekannte Wörter richtig schreibt. Zugleich sollen die Schüler die Wörter üben, die sie persönlich oft brauchen.

Bremen will einen „Grundwortschatz“ einführen, eine verbindliche Liste häufiger Wörter. Ist das sinnvoll?

Es geht dabei um eine Liste mit 700 bis 800 Wörtern, wobei aber das 700. nicht viel seltener ist als das 500. Die Kinder lernen auch besser jene Wörter, die ihnen selbst etwas bedeuten. Es ist aus meiner Sicht schwer zu begründen, warum es für Bremen insgesamt eine verbindliche Wörterliste geben soll, und ich finde es besser, wenn der Wortschatz offen für unterschiedliche Themen und individuelle Erfahrungen ist.

Dem Spiegel gelten Sie als „Türöffner einer neuen Rechtschreibanarchie“!

Nein, ich bin kein Anarchist.

Sie stehen aber immer wieder in der Kritik, dass „schwächere“ und „bildungsfernere“ SchülerInnen in Ihrem Konzept abgehängt werden.

Da werden Konzepte verwechselt. Am Anfang müssen die Kinder erst einmal lernen, lautorientiert zu schreiben. Auf dieser Basis sollen sie aber auch schon in Klasse 1 Wörter in Richtigschreibung lernen.  Int.: Jan Zier

17 Uhr, Landesinstitut für Schule, Weidedamm 20