Realismus ist zu pathetisch

EUROPA Jugendliche Filmemacher setzen sich kritisch mit der EU-Politik auseinander. In zwei Wochen werden sie ihre Kurzfilme der Öffentlichkeit vorstellen und mit Abgeordneten darüber diskutieren

Die Jugendlichen bespielen Youtube mit Selbstgemachtem. Mit vierstelligen Zuschauerzahlen

Düstere Antworten haben Bremer Jugendliche auf die Frage gegeben, was ihnen zu Europa einfalle: Tote Flüchtlinge an den Außengrenzen, Demokratiedefizite beim Freihandelsabkommen TTIP und die Überdosis allgegenwärtiger Medien. Fünf Filme haben sie darüber gedreht, die in knapp zwei Wochen Premiere feiern. Am vergangenen Wochenende haben die Jugendlichen aus ungezählten Stunden Rohmaterial vierminütige Kurzfilme geschnitten.

Begleitet werden die FilmemacherInnen vom „Bremer Jugendring“ und den Medienpädagogen von „Hörensehen“. Und die waren selbst ein bisschen überrascht über die kritische Themenwahl. Denn die SchülerInnen und Studierenden sind keine Polit-AktivistInnen, sondern allein durch die Nachrichten auf ihre Ideen gekommen.

Bei der filmischen Umsetzungen dieses gemeinsamen Problembewusstseins haben die Jugendlichen sehr unterschiedliche Wege gewählt. So ist in einem Animationsfilm ein Arbeiter aus Draht und Styropor zu sehen, der vom Fließband Turnschuhe nach Europa verschifft. Sein Versuch, dem Warenverkehr über die Grenze zu folgen, endet tödlich. Wellen schwappen über die reglose Gestalt am Stand. Die Qualität der Filme ist auch technisch beeindruckend.

„Die Festung“ behandelt ein ähnliches Thema auf gänzlich andere Weise: als Mockumentary. So werden satirische Dokumentation über fiktives Geschehen genannt – in diesem Fall die verschärfte Situation an der Grenze zwischen Bremen und Niedersachsen. Eine absurde Geschichte aus todernsten Zutaten. Das lebensgefährliche Durchschwimmen der Weser ist da zu sehen und eine mit wütenden Statisten besetzte Demonstration vor dem Roland. „Wollt ihr Grenzen? Nein!“, lautet ihre Parole. „Niedersachsen rein!“ Irritieren solle das, sagt Nils beim Schneiden des Films. Die Fakten seien ja bekannt und einfach nur die Realität zu zeigen, habe immer „so ein komisches Pathos“.

Die jungen Menschen beherrschen das Medium Film nicht nur technisch, sondern reflektieren es auch. Jugendlichen die Chance zu geben, als ExpertInnen ihrer Lebenswelt wahrgenommen zu werden, ist das erklärte Ziel des Projekts „Strukturierter Dialog“, in dessen Rahmen der Filmworkshop läuft. Und diese Lebenswelt ist eben auch eine digitale. Einige Jugendliche haben eigenes Equipment mitgebracht, mit dem sie sonst ihre Youtube-Kanäle mit Selbstgemachtem bespielen. Manche mit Zuschauerzahlen im vierstelligen Bereich.

Hier steht für jeden der Filme ein Budget über 400 Euro zur Verfügung. Luca musste für seine Rolle als TTIP-Agent einen Anzug leihen. „Aus meinem eigenen wachse ich immer so schnell raus“, sagt der 16-Jährige. Andere haben Rechte an Grafiken und Schrifttypen erworben. Hinterher werden die Ausgaben unter professioneller Anleitung abgerechnet – auch für versierte Youtube-NutzerInnen eine neue Seite des Filmgeschäfts.

In den letzten Stunden des Schnitt-Workshops wurde es dann langsam stressig. Weil die Filme fertig werden sollen, aber auch, weil die Aufführung naht. In knapp zwei Wochen zeigen sie ihre Filme im „City 46“, um mit Bremer Abgeordneten darüber zu diskutieren. Mit Helga Trüpel (Grüne) wird sogar eine EU-Parlamentarierin dabei sein. Und vor so einem öffentlichen Auftritt haben dann auch tausendfach vernetzte Digital Natives ein bisschen Lampenfieber.JAN-PAUL KOOPMANN

6. Dezember, 19 Uhr, City 46. Aus Platzgründen mit Anmeldung: info@bremerjugendring.de