DER UHRMACHER
: Hellbraunes Schwein

Das alte Armband hatte mindestens zehn Jahre auf dem Buckel

Neulich war ich wieder einmal beim Uhrmacher. Es ist gar nicht so leicht, einen richtigen Uhrmacher zu finden, zu viele Wegwerfuhren werden verkauft. Vor vielen Jahren hatte ich das „Uhrwerk“ entdeckt, einen Glaskasten in der S- und U-Bahn-Station Friedrichstraße. Es war Zeit für ein neues Armband für meine russische Poljot aus den 60ern, die ich in desolatem Zustand von einem Kubaner in Havanna geschenkt bekam und danach im Uhrwerk auf Vordermann hatte bringen lassen.

Das alte Armband hatte jetzt mindestens zehn Jahre auf dem Buckel. Es war aus wunderschönem dunkelbraunem Pferdeleder und nicht gerade billig gewesen. Aber nun hatte es seinen Dienst getan. Als ich aus der S-Bahn stieg, fragte ich mich bang, ob es das Uhrwerk noch gab. Zu meiner großen Erleichterung fand ich alles so vor wie beim letzten Mal. Es bediente mich auch derselbe Mann wie sonst. Weder an ihm noch an mir ist die Zeit spurlos vorübergegangen, aber er kümmerte sich wie immer liebevoll um meine Uhr.

Ich hätte gern wieder ein Armband aus Pferdeleder gehabt, aber ich wollte etwas weniger Geld ausgeben, und es gab ohnehin keins in der passenden Größe. Dafür konnte ich aus einer Vielzahl anderer Bänder wählen: Es gab Leder von der Schlange und vom Krokodil, ein Fisch war auch dabei, aber auch Bänder von heimischen Tieren wie dem Schwein und der Ziege. Ich entschied mich für hellbraunes Schweinsleder.

Während der Uhrmacher das Band befestigte, fiel mir seine Uhr auf, die sehr groß war. „Das ist meine Urlaubsuhr“, klärte er mich auf, und ich erfuhr, dass er mit ihr täglich ein Funksignal von einer Atomuhr aus Karlsruhe empfängt, die die größtmöglich genaue Uhrzeit liefert. Überzeugt, den besten Uhrmacher der Welt zu haben, zog ich mit meinem schweinischen Armband von dannen.

BARBARA BOLLWAHN