Auf der Seite der Streikbrecher

Im Zusammenhang mit dem Bauarbeiterstreik häufen sich die Polizeieinsätze. Viele Polizisten sind sich offenkundig über die Rechtslage im Unklaren und verletzen die Neutralitätspflicht

VON KAI VON APPEN

Der Streik im norddeutschen Baugewerbe ist in der dritten Woche. Hamburg ist zwar nur peripher betroffen: Es werden nur Baustellen bestreikt, auf denen Firmen aus den tarifflüchtigen niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Baugewerbeverbänden tätig sind. Trotzdem liegen gerade in Hamburg die Nerven blank: „Immer wieder wird von Unternehmen die Polizei geholt“, berichtet der Streikleiter der Gewerkschaft Bau-Argrar-Umwelt (IG BAU), Andre Grundmann. So würden auch Streikposten mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz bedroht, wie Grundmann es formuliert. Gegen ihn selbst läuft bereits ein Verfahren.

„Arbeitskampf ist nicht die Stunde der Polizei“, lautet ein Leitsatz von Experten der Polizeirechtslehre, der auch in der Literatur seinen Niederschlag findet. Danach ist die Polizei bei einem Arbeitskampf zur absoluten Neutralität verpflichtet. Dieser allgemeinen Grundrechtsauffassung steht jedoch immer noch die bundesweite Polizeidienst-Verordnung PDV 100 gegenüber – deren Wurzeln in den Zeiten des Kaiserreichs zu finden sind – wo nach preußischer Definition ein Streik auch als „Aufruhr und Widerstand“ gewertet werden kann.

So ist es in den letzten Tagen dazu gekommen, dass die Polizei durch ihre Präsenz Streikbrechern den Weg bahnte. Wenn es zu einer Blockade des Eingang komme, müsse die Polizei unter Berücksichtigung der Rechtsgüter einschreiten, sagt Polizeisprecher Ralf Meyer. „Wir sorgen nur dafür, dass da einer raufkommt und dass keine Straftaten verübt werden.“

Zugleich verwehrte die Polizei IG Bau-Vertretern mit Drohgebärden regelrecht den Zutritt zu Baustellen mit dem Hinweis auf Hausfriedensbruch. „Die Polizei stellt das Hausrecht über das Streikrecht“, beklagt Grundmann. Dabei ist die Hamburger Polizei schon 1999 bei einem Kaufhausstreik zu der klaren Rechtsauffassung gelangt, dass Streikrecht Vorrang vor Hausrecht habe (taz berichtete).

Zudem billigt der Tarifvertrag der Baubranche der IG Bau explizit jederzeit den Zutritt zu Baustellen zwecks Werbung zu – nicht nur zu den Sozialräumen, sondern auch zu den Arbeitsplätzen. „Wenn wir auf den Baustellen für den Streik werben“, sagt Grundmann, „werben wir zugleich um Mitglieder.“

Nach einer Eskalation auf einer Baustelle war es zum Gespräch zwischen Polizei und IG Bau gekommen und erstmal Ruhe eingekehrt. Nun ist eine neue Variante dazu gekommen: Immer, wenn drei Leute mit den typische IG-Bau-Streiktüten zusammenstehen, würden sie mit einem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz konfrontiert, da dies eine nicht genehmigte Demonstration sei, berichtet Grundmann „Die können die Versammlung doch anmelden“, erwidert Polizeisprecher Meyer.

Für viele Gewerkschafter völliger Humbug und eine klare Verletzung der Neutralitätspflicht. „Streikrecht ist ein Grundrecht ohne Vorbehalt“, sagt der IG Metall Arbeitskampfexperte Uwe Zabel. Und Streikposten-Stehen sei typisch für einen Arbeitskampf und gehört zu den Kernbereichen. Da das Streikrecht über dem Versammlungsrecht stehe, kann die Polizei damit Streikaktivitäten nicht beschränken, sagt Zabel.