Reihenweise Störfälle

Nicht erst seit vergangener Woche kommt es im Atomkraftwerk Krümmel zu Pannen und Fehlfunktionen: Zweifel an der Sicherheit des 1983 in Betrieb genommenen Meilers waren offenbar von Anfang an begründet

Schon in der Bauphase des AKW Krümmel Ende der 1970er Jahre gab es Zweifel an der Sicherheit des Siedewasserreaktors. Fachleute kritisierten damals, der zu hohe Kupferanteil im Reaktorstahl begünstige eine schnelle Versprödung. Auch könnte bei plötzlichen Druck- und Temperaturschwankungen infolge eines Störfalls der Reaktordruckbehälter platzen. Prüfer des TÜV stellten laut Spiegel Schlampereien fest: „Verunreinigungen in den meisten Blechen“ und an den Schweißnähten „zahlreiche Anzeigen“, die als „systematische Fehler angesehen werden mussten“.

Weitere Probleme gab es bei der Montage der Stahlplatten für das Reaktordruckgefäß: Die aus Mailand angelieferten Elemente passten nicht richtig zusammen. Mit hydraulischen Pressen wurden sie auseinandergedrückt und auf die passenden Maße zurechtgebogen. Auch bereits verlegte Rohrleitungen mussten wegen zu spät erkannter gravierender Materialfehler wieder herausgerissen und ersetzt werden.

Am 4. Oktober 1983 fiel im Reaktor eine Pumpe aus, die Reaktorwasser reinigte. Nur eine Woche später wurde eine Rohrleitung zum Kondensator durch Wasserschlag beschädigt. Im November und Dezember desselben Jahres ging die Pannenserie mit dem Abriss eines Flansches an einem Sicherheitsventil und dem Ausfall einer Kühlwasserpumpe weiter. Alleine 1984 ereigneten sich im AKW 14 meldepflichtige Störfälle.

In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar 1985 knallte es ein paar hundert Meter vom Kraftwerk entfernt: Genau da, wo der Strom aus Krümmel in das Hamburger und schleswig-holsteinische Versorgungsnetz eingespeist wurde, detonierte ein Sprengsatz und riss drei Hochspannungsmasten um. Die Folgen: eine Schnellabschaltung, eine mehrwöchige Zwangspause für das AKW, mehr als zwei Millionen Mark Sachschaden und ein erheblicher Wirbel.

Seit knapp 20 Jahren häufen sich in der Elbmarsch rund um das AKW Leukämie-Fälle: 16 Kinder sind erkrankt, das ist die höchste Rate weltweit. Mehrere der jungen Patienten verstarben. Ob dafür Radioaktivität aus dem 1983 in Betrieb genommenen AKW verantwortlich gemacht werden kann, ist umstritten. Zwar folgten um 1990 die Neuerkrankungen besonders dicht aufeinander und vier bis acht Jahre beträgt bei Leukämie die Latenzzeit, also die Zeitspanne bis zum Auftreten erkennbarer Symptome. Ein Indiz allenfalls, aber kein Beweis, wie auch Atomkraftgegner einräumen. Manche Wissenschaftler machen einen Unfall im benachbarten Forschungszentrum Zentrum GKSS für die Leukämiefälle verantwortlich. Ihrer Ansicht nach ist es dort bei Atomversuchen im September 1986 zu einem Unfall gekommen. REIMAR PAUL