BERLINER PLATTEN
: Diese Woche mal mit der Menschheit Party-Programm: nach Berlin und Balkan sortierter Soul mit The Man No.9 und Miss Platnum

Jede gute TV-Serie braucht bekanntlich einen Thema-Song. Diese kleine Kolumne kann sich so etwas zwar nicht leisten, aber gönnt sich hiermit zumindest eine einmalige Erkennungsmelodie: „The Man’s Party Programm“ ist laut, fordernd und vorwärtstreibend. Das macht den ersten Song von „Brazilian Barbecue“, dem ersten Mini-Album von The Man No.9, zum perfekten Leitfaden diese Woche. Denn auch für Miss Platnum ist vor allem die Party Programm.

The Man No.9 sind ganz offensichtlich im kranken Hirn eines Pop-Nerds erdacht worden: Eine internationale Besetzung aus sechs Männern und zwei Frauen versöhnt knallige Tanzbeats und Northern Soul, Pubrock und eine schillernde Discokugel, ohne dass es nach Bastardpop klingt. Und sogar Sex und Rebellion finden noch einmal zusammen, ohne dass man gleich gähnen müsste. Auch ein schmissiger Gründungsmythos wurde gedichtet: Alle Mitglieder wuchsen angeblich zusammen auf als Kinder in einer Berliner Polit-Kommune, wurden verstreut um die ganze Welt und fanden schließlich zu The Man No.9 wieder zusammen. Heute tragen sie stets dunkle Sonnenbrille, schwarzen Schlips, weißes Hemd und einen Spitznamen wie ein Superheld: The Sneak, Spiderwoman, The Lovegun oder X-Factor. Man sieht also: Hier regiert das geschmackvolle Zitat und vor allem der Wille zum Stil. Das Debüt kann, kein Wunder bei gerade mal vier Songs und zwei Remixen, die geschickt gesteigerten Erwartungen nicht vollständig erfüllen, aber zeigt hoffnungsvolle Ansätze: Nennen wir es Berlin Soul, ironisch, aber nicht zynisch.

Eine fast ebenso bunte, aber dafür wohl echtere Legende hat Miss Platnum zu bieten. Ruth Maria Renner wächst auf im rumänischen Timisoara, die Eltern fliehen aus dem Land, lassen die Achtjährige zurück bei den Großeltern und holen sie ein halbes Jahr später nach. Mit 18 Jahren gerät sie bei einem Workshop unter die Fittiche der Berliner Soul-Institution Jocelyn B. Smith, findet eine Mentorin und die Liebe zum R’n’B. Den verknüpft die mittlerweile 26-Jährige auf ihrem ersten Album „Chefa“ scheinbar problemlos mit Einflüssen aus ihrer Heimat. So entstehen zum einen Songs wie „Voodoo“, die weitgehend die gängigen Radioklischees bedienen. Und zum anderen – viel öfter und meist sehr gelungen – Stücke wie „Come Marry Me“: In dem Duett mit Seeed-Vorsänger Pierre Baigorry enthüllt Miss Platnum einen so herzallerliebsten Akzent, dass der Song nur mit halber Not nicht als Folklore endet.

Grundsätzlich aber gilt: Die satten, mal von Timbaland, mal von jamaikanischem Dancehall inspirierten Elektro-Beats werden immer wieder mit Zigeuner-Trompeten, Balkan-Fiedeln und Glockenspiel konterkariert. Wenn sie einen Klagegesang über ihr Wunschautomobil anstimmt, dann halten Janis Joplin und Goran Bregovic Händchen: „I want a Mercedes Benz / Like all of my friends“. Und wenn der Rhythmus nach Größe Zero klingt, dann propagiert Miss Platnum Genuss ohne Reue: „Give me the food if you love me“. Nennen wir es Balkan Soul, wohl genährt, aber nicht satt. THOMAS WINKLER

The Man No.9: „Brazilian Barbecue“ (Haute Areal/Cargo)

Miss Platnum: „Chefa“ (Four Music/SonyBMG)