felix lee über den klimawandel im kleinen
: Geliebte Wellen

Die New Yorker bangen um ihre U-Bahn-Schächte, den Amsterdamern graut es vor überlaufenden Grachten und den Hamburgern vor „Land unter“ in ihrer neu errichteten Hafen-City. Mich persönlich würde der viel gefürchtete Klimawandel wahrscheinlich kalt lassen, wenn mich nicht die alltäglichen Sorgen um den Landwehrkanal plagen würden.

Jeden Morgen fahre ich mit dem Fahrrad über die Admiralbrücke und dann am Fraenkelufer entlang. Ich nehme die vielen Schlenker an der künstlich angelegten Grünfläche zwischen Böcklerpark und Erkelenzdamm in Kauf, die für entgegenkommende Radfahrer wegen der schlechten Sicht wirklich gefährlich sind. Und dann geht’s am Prinzenbad vorbei – und immer schaue ich mir genauestens die Konsistenz des Kanalwassers an.

Lange Zeit hat mich nur der Wetterbericht der Tagesschau interessiert, weil dort schon lange vor den Radarbildern auf www.wetter.com animierte Regenwolken zu sehen waren. Doch inzwischen habe ich mich zu einem wahren Wetterfanatiker gemausert. Denn ich weiß: Steht das Wasser am frühen Morgen still und ist es mehr industriell grüngrau als organisch grünbraun, dann ist das Wetter zuvor dem Kanal gar nicht gut bekommen.

Dafür kann es zwei Gründe geben: Entweder hat es in den vergangenen Tagen und Wochen zu wenig geregnet. Dann hat sich so viel Dreck angesammelt, dass aus dem Fließwasser eine stehende Brühe geworden ist. Oder aber der Regen ist im Sturz niedergeprasselt. Dann konnte das Berliner Abwassersystem das viele Wasser nicht auffangen und ist übergelaufen. Der ganze verschleimte Dieselruß vermischt mit Neuköllner Hundekot und sonstigem Straßendreck hat die Ausflüsse verstopft – und alles landet im schönen Landwehrkanal.

Beide Wetterphänomene werden im Zuge des Klimawandels in dieser Region verstärkt erwartet – sie dürften damit häufiger im Jahr den Landwehrkanal belasten: Im Winter ist es zu mild und zu nass, im Sommer zu trocken und heiß.

Dabei stelle ich gar keine so hohen Ansprüche an die Wasserqualität, auch wenn es verlockend klingt, an einem heißen Sommerabend mitten in der Stadt mal so eben ins Wasser zu springen. Mich graust es schon jetzt vor der Vorstellung, im Zuge der Sanierungsarbeiten an den Ufermauern könnte das Wasser abgepumpt werden und 150 Jahre Berliner Gerümpel mit so manchen Leichenteilen versetzt könnte zum Vorschein kommen. Da warte ich lieber, bis die Spree sauber ist.

Ich erwarte auch keine Fische im Wasser. Gesehen habe ich an den Kreuzberger und Neuköllner Ufern ohnehin noch nie welche. Also werde ich sie auch nicht vermissen.

Alles, was der Landwehrkanal für mich erfüllen muss: langsam fließendes Wasser auf Höhe der Admiralbrücke, kleine Wellen am Urbanhafen – denn aufgedunsene Zigarettenstümmel dürfen nicht am Uferrand des Maybachufers vor sich hin plätschern, sondern sollen gefälligst weiter in Richtung Charlottenburg geschwemmt werden. Das setzt allerdings die richtige Strömung voraus, und die erfolgt wiederum nur bei ausgewogener Wasserzufuhr von oben. Solange diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, beschäftigen mich wohl auch New Yorker U-Bahn-Schächte. FELIX LEE

Der Tipp: Zigaretten gar nicht erst ins Wasser werfen – dann bleibt auch Charlottenburg sauber Das Wochenendwetter: Es wird sonnig