„Es erinnert an ein Gymnasium“

Durch das Bachelor-Master-System geht selbstständiges, forschendes Lernen verloren, sagt der Politikwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber. Die Uni führe das neue Modell nur unter dem Druck der Politik ein, nicht aus Überzeugung

HANS J. KLEINSTEUBER, 64, ist Professor für Politische Wissenschaft und Journalistik an der Universität Hamburg.

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Herr Kleinsteuber, der „Deutsche Studienpreis“ nimmt keine Bewerbungen von Studierenden mehr an (siehe Text unten) . Dabei wurde er 1996 eingeführt, um studentische Forschung sichtbar zu machen. Überrascht Sie das?

Hans J. Kleinsteuber: Das überrascht mich nicht. Die Verbindung von Lehre und Forschung war lange Tradition der deutschen Universitäten. Studierende sollten selber Dinge herausfinden. In den Diplom- und Magisterarbeiten, die 120 Seiten zu umfassen hatten, erwarteten wir, dass die jungen Leute an innovativen Themen arbeiten. Sie sollten sich eigenständig Gedanken machen und zu neuen Ergebnissen kommen. Dies wird jetzt an mehreren Fronten beendet. Das Studium wird verschult. In den Bachelor-Master-Studiengängen (BA-MA) wird nur noch ein Kodex abfragbaren Wissens verabreicht. Wir müssen den Nachweis erbringen, dass wir die jungen Leute präpariert haben. Der Umfang der Abschlussarbeiten ist deutlich reduziert. Hier geht in der Tat ein Stück forschendes Lernen verloren.

Die Uni stellt zum Wintersemester alle Studiengänge auf BA-MA um. Wie wird das die Hochschule verändern?

Es gibt Fächer, die sich drücken können, wie die Juristen: Da heißt es, die Anforderungen des Staatsexamens ließen nicht zu, dass BA-MA eingeführt wird. Auch die Mediziner und ein Teil der Ingenieure machen nicht mit. Es ist nicht so, dass die verbleibenden Fächer sagten: „Oh, ja prima, das machen wir!“ Es hat mit der politischen Verankerung zu tun: 2003 legte der Jurist Klaus von Dohnanyi sein Gutachten zur Hochschulstruktur vor, der das BA-MA-System empfahl. Er hatte sich von seinen Juristenkollegen überzeugen lassen, dass das bei ihnen im Hauptangebot nicht ginge. Obwohl es im Ausland üblich ist.

Welche Fächer eignen sich denn für das System?

Ich halte es allgemein für wenig sinnvoll. Es ist nur so: Die in den gesellschaftlichen Eliten verankerten Fächer wurden geschont. Die Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften müssen das neue System einführen.

Was heißt „Verschulung“ – und was ist so schlecht daran?

Das deutsche Universitätswesen war in den Sozial- und Geisteswissenschaften traditionell sehr offen, basierte auf einer begrenzten Zahl formaler Anforderungen, um eigene Schwerpunktwahl zu ermöglichen. Es kommt jetzt bis zu einer Verdoppelung der Pflichtveranstaltungen, die thematisch enger festgelegt sind. Und es gibt mit dem Studieninformationsnetz „Stine“ eine verschärfte Kontrolle. Wer nicht zur Klausur erscheint, braucht ein ärztliches Attest. Man kann da schnell rausfallen. Es wird bis zu 90 Prozent Anwesenheit vorgeschrieben, die wir kontrollieren müssen. Das Ganze erinnert an ein Gymnasium.

Aber die Studenten bekommen eine solide Grundlage?

Es gab in der Tat einen Anteil Studierender, die den Mangel an festen Strukturen beklagt haben. Aber die Mehrheit hat die Freiheiten geschätzt.

Wo liegt der Nachteil?

Wir haben bisher kaum Absolventen. Aber wir sehen, dass durch die hohe Zahl von Pflichtveranstaltungen das eigenständige Lernen, der Blick in andere Fächer und die Transdiziplinarität verloren gehen. Wir haben Sorge, dass Menschen, die nur kodifiziertes Wissen aufnehmen, weniger in der Lage sind, flexibel und angemessen in unvorhergesehenen Situationen zu reagieren. Das ist das, was einen guten Forscher ausmacht und bereitet zugleich besser auf einen hochmobilen Arbeitsmarkt vor. Ein Mittelweg mit weniger Auflagen wäre besser gewesen.

Wer legt das Pensum fest?

Im Prinzip die Akkreditierungsagenturen. Die haben Vorgaben vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das mit der Hochschulrektorenkonferenz und der Bertelsmann-Stiftung verbunden ist.

Welchen Spielraum hat die Uni?

Sie hat sich seit 2003 nicht mehr gegen BA-MA gewehrt – nicht, weil sie überzeugt war, sondern weil die Politik sie unter Druck gesetzt hat. Es drohte die Schließung von Fächern wie Soziologie und Journalistik, die Halbierung der Geisteswissenschaften. Da hat man gesagt: Wir erhalten die Fächervielfalt und führen dafür BA-MA ein. Aber die Universitäten sind in Europa über 900 Jahre alt und haben schon etliche Angriffe abgewehrt.

Findet denn im Master-Studium forschendes Lernen statt?

Deutlich zu wenig. Die Master-Studiengänge sind ähnlich konzipiert, mit vielen Pflichtveranstaltungen. Dazu ist der BA so betreuungsintensiv konzipiert, dass derzeit nur für 30 Prozent der Studierenden ein Masterplatz übrig bleibt. Das bedroht uns zutiefst, weil eigenständige wissenschaftliche Arbeit zu kurz kommt und damit auch der Nachwuchs fehlt.

Welche Lösungen bleiben? Der Uni-Asta fordert 10 Millionen Euro, um die Masterquote auf 75 Prozent zu erhöhen.

Das wird nicht reichen, leistungsfähige Masterkapazitäten kosten mehr Geld. Aber der Weg ist richtig. Man könnte zudem den BA im Schwerpunkt an die Fachhochschulen verlagern. Man könnte auch Elemente der alten Uni wieder einführen. Es ist schwierig, die Politik hat hier eine Summe von Fehlentscheidungen getroffen.