Münchener Flüchtlingscamp geräumt

PROTEST Die letzten hungernden Asylsuchenden, die sich auf Bäume verzogen hatten, geben am Donnerstag auf

„Ein Gefängnis wird immer ein Gefängnis bleiben“

DER FLÜCHTLING ADEEL

AUS MÜNCHEN LAURA MESCHDE

Der Münchner Sendlinger-Tor-Platz ist umstellt. 500 Polizisten sind im Großeinsatz. Ein Protestlager der Flüchtlinge auf dem Platz ist am Mittwochabend geräumt worden. Adeel aber sitzt in der Mitte des Platzes in etwa sieben Metern Höhe auf einem Baum, zusammen mit neun weiteren Geflüchteten. Gegenüber, auf einem anderen Baum, sitzen zwei weitere Männer, auch sie Flüchtlinge. „NonCitizens“, wie sie sich selbst nennen, „Nichtbürger“. Weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben und damit nicht als Bürger anerkannt – und auch nicht so behandelt werden. Adeel und die anderen Männer auf den Bäumen haben jetzt seit viereinhalb Tagen nichts mehr gegessen. Und seit knapp zehn Stunden nicht mehr getrunken.

Neun Stunden vorher, 13 Uhr am Sendlinger Tor: Die NonCitizens haben eine Pressekonferenz vorbereitet. Um den Infostand vor ihrem provisorischen Camp drängen sich die Reporter. „Heute sind wir in den trockenen Hungerstreik getreten“, sagt Adeel.

Trockener Hungerstreik, das heißt: nichts mehr trinken. Ohne Wasser kann ein Mensch nur wenige Tage überleben. Wie viele, das hängt davon ab, wie stabil sein Zustand ist. Die 34 Flüchtlinge hier auf dem Sendlinger-Tor-Platz haben schon seit vier Tagen nichts mehr gegessen. Am Samstag letzter Woche sind sie in den Hungerstreik getreten. Ihre Forderung: eine Anerkennung ihrer Asylanträge.

Arbeiten und den Landkreis verlassen dürfen, nicht mehr in Zimmern mit fünf anderen Leuten und nur einer Toilette leben müssen, das ist die Forderung, die hinter „Anerkennung der Asylanträge“ steht. „Lager“ ist das Wort, das hier am häufigsten fällt. Einige der NonCitizens kommen aus der Bayernkaserne, einem Münchner Flüchtlingslager, das in den letzten Monaten immer wieder Thema harter Debatten war. Wegen Überfüllung, Personalmangel, Krätze. Vor knapp einem Monat wurde ein Aufnahmestopp in die ehemalige Kaserne verhängt. „Es bringt nichts, die Lager zu verbessern“, sagt Adeel. „Ein Gefängnis wird immer ein Gefängnis bleiben.“

Hinter Adeel liegen auf einem Deckenlager unter zwei Plastikzelten die anderen NonCitizens. Sie sind entkräftet, zwei Männer wurden bereits gen Krankenhaus abtransportiert. Einige der Flüchtlinge, die hier protestieren, waren bereits im Juni letzten Jahres bei dem Hungerstreik am Münchner Rindermarkt dabei. Nach der Räumung des Camps war ihnen eine schnelle Prüfung ihrer Asylanträge in Aussicht gestellt worden – eine Anerkennung bekamen aber nicht alle.

„Erpressung“ nennt die CSU den Hungerstreik der Flüchtlinge. Innenminister Joachim Herrmann wurde mit der Aussage zitiert, es habe für das Vorgehen der Geflüchteten „null Verständnis“. Und auch bei zahlreichen Passanten am Sendlinger Tor lässt sich eine gewisse Abneigung gegen die NonCitizens beobachten. Manche verfallen in regelrechte Schimpftiraden. „Ausschwitz, you know it?“, brüllt ein Mann dem Protestzelt entgegen. Aber es gibt auch viel Hilfsbereitschaft: Der Spendenberg wird stetig größer, immer wieder bringen Leute Decken, Jacken und Mützen vorbei.

1 Uhr nachts, Sendlinger Tor, das Camp ist längst geräumt. Neun der NonCitizens sitzen noch immer in den Bäumen. Wegen der „Gefahr für Leib und Leben“ der Protestierenden, so Innenminister Herrmann, war ihre Versammlung aufgelöst worden. Zwei Feuerwehrwagen stehen neben den Bäumen, ein Polizist hat sich von ihnen abgeseilt und versucht, die verbliebenen Flüchtlinge vom Baum zu holen. Aber die klammern sich fest. Einer droht, zwischen die Luftkissen zu springen, sollte die Polizei ihm zu nahe kommen.

Donnerstag um 8.30 Uhr, nach knapp elf Stunden auf den Bäumen, kommen Adeel und seine verbliebenen Mitstreiter schließlich von den Bäumen herunter. Weil Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (CSU) ihnen Gespräche mit Vertretern aller Regierungsebenen zugesagt hat. Ihre Asylanträge, so lautet jetzt das Angebot an die Protestierenden, werden geprüft werden. Über ihre Annahme sagt das nichts. „Sie haben ihr Ziel erreicht: nämlich eine Diskussion anzustoßen“, sagt Reiter. Und weiter: „Wir brauchen einen Plan, um Flüchtlinge in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu integrieren.“