Die entspanntere Weihnacht

JAHRESEND-RITUALE Das jüdische Chanukka ähnelt dem christlichen Weihnachtsfest in vielerlei Hinsicht. Im Vergleich zu seinem christlichen Pendant bedeutet Chanukka aber weniger Stress. Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky erklärt, das liege daran, dass es kaum religiösen Pflichten gebe – und dass nicht die ganze Verwandtschaft komme

„Chanukka ist ein angenehmes Fest. Da gibt es keinen Stress. Es sei denn, man will sich welchen machen. Das geht natürlich immer“

SHLOMO BISTRITZKY, HAMBURGER LANDESRABBINER

Noch 18 Tage bis Chanukka 5775. Der 25. Tag des Monats Kislew im hebräischen Jahr 5775 fällt in diesem Jahr auf den 17. Dezember 2014 im gregorianischen Kalender, den die Christen benutzen. Es ist der erste Tag des achttägigen Lichterfests, des jüdischen Pendants zu Weihnachten.

Bei Deli-King, einem jüdischen Geschäft im Hamburger Grindelviertel, stehen schon lange die traditionellen Kerzenleuchter, die Chanukkia, im Schaufenster. Die achtarmigen Leuchter sind das wichtigste Utensil des Lichterfests. Bei Deli-King kann man zwischen zwei verschiedenen Modellen wählen: dem praktischen – mit Kerzen – und dem traditionellen mit Docht und Olivenöl. Aber alles ist fertig zum Gebrauch, man muss nichts mehr damit tun.

„Das war mal anders“, erinnert sich der Rabbiner Schlomo Bistrizky. Der 37-jährige ist der Landesrabbiner der jüdischen Gemeinde Hamburg. Früher, sagt er, habe es einige Zeit erfordert, die Dochte in Öl zu tränken und sorgfältig in kleinen Gläsern auf dem hölzernen Leuchter zu platzieren. Heutzutage kauft man die fertige Chanukkia für 29,80 Euro.

Außerdem gibt es zum Fest seit einigen Jahren Geschenke für die Kinder. Auch das war nicht immer so. „Es muss aber nichts Großes sein“, sagt der Rabbi, „eine Kleinigkeit reicht.“ In der jüdischen Tradition mache man nicht so viele Geschenke, sondern gebe den Kindern eher Geld. Das allerdings mit Auflagen: Man muss etwas Gutes damit tun.

„Chanukka ist ein familiäres Fest“, erzählt Bistritzky. Wenn es dunkel werde, treffe man sich im Kreis der Familie und zünde die Kerzen an. Bei dem Rabbi zu Hause zum Beispiel gibt es mehrere Chanukkia: für jedes Familienmitglied eine. Hauptsache, die Leuchter sind gut platziert, sodass man sie auch von draußen sehen kann. Auf der Fensterbank also, oder auf dem Abendbrottisch. Es geht um das gemütliche Beisammensein – die Feiernden singen, sprechen Segenssprüche, essen oder spielen mit dem Dreidel.

Das ist ein Kreisel mit vier Seiten, auf denen jeweils ein hebräischer Buchstabe steht. Die Buchstaben stehen für den Satz „Nes gadol haja scham“ – auf deutsch: „Das große Wunder geschah dort“. Gespielt wird mit Süßigkeiten, erklärt Bistritzky: Man würfelt reihum, die Süßigkeiten liegen in der Mitte. Je nachdem, welcher Buchstabe nach oben zeigt, darf man alle Süßigkeiten nehmen, nur die Hälfte, gar keine – oder, wenn man Pech hat, muss man sogar welche dazulegen. Ganz simpel.

Alles in allem ist Chanukka ein sehr entspanntes Fest. „Die einzige religiöse Pflicht ist das Anzünden der Kerzen“, erklärt Bistritzky. Wie das genau passieren soll, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander: Entweder am ersten Tag eine Kerze und jeden Tag eine weitere, wie beim Adventskranz – oder andersrum: erst alle und jeden Tag eine weniger.

Die zweite Variante korrespondiert stärker mit der Geschichte, auf die Chanukka zurückgeht: Eine Gruppe jüdischer Widerstandskämpfer verjagte laut der Legende im Jahr 167 vor Christus, zur Zeit der griechischen Besatzung Jerusalems, die Besatzer aus einem Tempel. Danach sah man, die Griechen hatten den Tempel entweiht und Chaos hinterlassen, aber man fand noch ein Töpfchen Öl zum Anzünden der siebenarmigen Menora, des großen Leuchters in der Mitte des Tempels. Die kleine Menge Öl hätte normalerweise nur für einen Tag gereicht, brannte aber acht Tage lang – so die Überlieferung.

Auf dieses Wunder bezieht sich der Satz auf dem erwähnten Dreidel: „Das große Wunder geschah dort“. Denn man feiert das Öl-Wunder, den Sieg des Lichts über die Dunkelheit. Entsprechend ölig sind die traditionellen Speisen an Chanukka: Es gibt Berliner, Donuts, in Öl gebackene Pfannkuchen oder Ladges, also frittierte Kartoffelpuffer.

Abgesehen davon, dass man genau auf die Symbole achtet, geht es während der Feiertage weniger streng zu als sonst. „Chanukka ist ein angenehmes Fest“, sagt der Rabbi. Liberale sowie orthodoxe Juden feierten es gleichermaßen. „Kerzen und Lichter – das findet jeder gut.“ Es gebe auch anstrengendere jüdische Feiertage, die viel Vorbereitung erforderten, so Bistritzky. Die Tage des Lichterfests dagegen seien ganz normale Werktage.

Was sicherlich auch zur entspannten Stimmung beiträgt: Anders als am christlichen Weihnachtsfest kommt zu Chanukka nicht die ganze Familie zu Besuch. „An Chanukka gibt es keinen Stress“, sagt Rabbiner Bistritzky. Und fügt hinzu: „Es sei denn, man will sich welchen machen. Das geht natürlich immer.“  KATHARINA SCHIPKOWSKI