IM NOVEMBER: Heute keine Szene
Heute gibt es an dieser Stelle keine Berliner Szene.
Ich will das nicht erklären. Es geht heute nicht anders.
Es ist November. Und durch das heruntergelassene Rollo meines Schlafzimmers, das ich heute nicht verlassen werde, sieht das grau-griesgrämliche Stückchen Himmel über dem Hinterhof auch genauso aus. Mehr muss ich nicht wissen. Ich kann nicht aufstehen. Kann mich nicht anziehen und mir ein Brot streichen. Und kann darum nicht raus auf die Straße gehen und da etwas wahrnehmen, das es wert wäre, es an dieser Stelle mitgeteilt zu werden. Kann nicht selbst etwas tun, was man hier erwähnen müsste. Will einfach nur meine Ruhe.
Nicht, dass ich die hier hätte. In der Wohnung über mir – die von Menschen bewohnt wird, die immer dann Möbel rücken, wenn ich’s partout nicht brauchen kann, und wie viele Möbel haben die eigentlich? – wird heute anscheinend eine neue Folterbank installiert. Hätte man damit nicht noch warten können, bis ich wieder wie eine Sprungfeder aus dem Bett schnelle? Bis morgen? Oder bis in drei Monaten? Oder in drei Jahren?
Irgendwo da draußen gehen Menschen ihrer Arbeit nach, marschieren beherzt die Straße entlang, nehmen Busse oder U-Bahnen, fahren mit dem Fahrrad um die Ecke oder mit dem Auto ins Parkhaus, laden Informationen ins Internet hoch oder Informationen aus dem Internet herunter, kaufen Waschmittel im Supermarkt oder geben ihr Jackett bei der Reinigung ab, wofür sie einen roten Abholzettel bekommen. Ich nicht.
Ich bin wie der kleine blaue, sanft pulsierende Punkt auf der Google-Landkarte, der anzeigt, wo man sich gerade befindet. Dieser kleine blaue Punkt wird sich heute nirgendwohin bewegen. Das Telefon, das gerade wieder klingelt, muss ebenfalls bis morgen warten. Bis dahin also gute Nacht. Obwohl es gerade erst Mittag ist. TILMAN BAUMGÄRTEL
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